Gilles Marchand

«Der Zeitpunkt ist richtig, für die SRG und für mich»

Das Interview führte Christophe Passer und wurde am 21. Januar 2024 in Le Matin Dimanche veröffentlicht.

Gilles Marchand, seit 2017 an der Spitze der SRG, hat am Donnerstag seinen Rücktritt per Ende Jahr bekannt gegeben. Dies zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Kampf um eine Gebührensenkung anbahnt.

Nach eigenen Worten wollten Sie Ihren Rücktritt in knapp einem Jahr bereits jetzt ankündigen, damit die Suche nach Ihrer Nachfolge sich nicht mit der kommenden Abstimmung über die Rundfunkgebühren und der Diskussion über die Konzession überschneidet. Können Sie das näher erklären?

Der Bundesrat hat den Zeitplan vorgegeben: Die Abstimmung über die Gebühren ist für Mitte oder Herbst 2026 geplant. Die Debatte über die neue Konzession – einem für die SRG enorm wichtigen Papier – findet 2027 statt. Der Entscheid durch den Bundesrat ist dann für 2028 vorgesehen. Somit steht perspektivisch das Jahr 2029 im Raum. Wir haben diesen Zeitrahmen bei der SRG vor dem Hintergrund meines regulären Rücktritts Ende 2026 betrachtet. Die Rolle als GD der SRG ist stark exponiert, kompliziert und mit ständigem Druck verbunden. Es dauert etwa acht bis zwölf Monate, um die richtige Person zu finden und ins Amt zu bringen. Wir waren der Ansicht, dass es unmöglich ist, 2026 inmitten einer Kampagne zu einer Volksabstimmung, die das Unternehmen in Gefahr bringt, eine neue Generaldirektion zu suchen.

Hätten Sie Ihren Rücktritt nicht auch auf die Zeit nach diesen Ereignissen verschieben können?

Dann befänden wir uns bereits im Jahr 2029. Das ist keine gute Idee. Ich bin 62 Jahre alt. Das würde bedeuten, dass ich die SRG an eine Person übergebe, der nichts anderes übrig bleibt, als das auszuführen, was andere soeben beschlossen haben. Meine Entscheidung ist gut durchdacht, und ich habe sie im Interesse des Unternehmens, das ich leite, getroffen. Man hat mich nicht gedrängt.

2018 haben Sie den Kampf gegen «No Billag» gewonnen. Die kommende, zweifellos härtere Schlacht wird in der Deutschschweiz ausgetragen: Bräuchte es eine Persönlichkeit aus der Deutschschweiz, um erfolgreich zu sein?

Als ich im September 2017 mein Amt antrat, lagen die Umfragen zur «No Billag»-Abstimmung bei 50/50. Unser Gedächtnis ist kurz. Heute erinnert man sich nur noch an das Ergebnis, nämlich nahezu 72 Prozent … Aber ich stimme zu, dass die neue Initiative gefährlicher ist, da sie weniger extrem daherkommt. Daraus ergeben sich zwei mögliche Ansätze: Der erste besteht darin, als Vertreter einer Minderheit ein nationales Unternehmen des Service public zu verkörpern. In dieser Hinsicht ist es ein Vorteil, aus der französisch- oder italienischsprachigen Schweiz zu kommen. Dies hat bei «No Billag» funktioniert und die Vorstellung widerlegt, dass man unbedingt eine Person aus der Deutschschweiz braucht, um zu gewinnen. Andererseits ist es heute durchaus wichtig, die politische Kultur der Deutschschweiz und ihre Hauptakteure gut zu kennen. Letztlich ist aber, unabhängig vom kulturellen Hintergrund, das Verständnis der subtilen Mechanismen in einem Land entscheidend.

Das neue Gesicht der SRG entsteht also aus einer Feuerprobe heraus?

Ja. Aber Veränderung ist ja auch positiv. Sie schafft Raum für neue Impulse, neue Ideen und eine neue Sprache.

Fällt Ihnen der Rücktritt schwer?

Ich fühle mich schon hin und her gerissen, wenn ich derartige Entscheidungen treffen muss. Es gilt, zwischen den eigenen Wünschen und Vorstellungen und dem Rahmen, in dem man sich bewegt, abzuwägen. Ja, ich verspüre Zerrissenheit, weil mir die SRG am Herzen liegt. Der Service Public liegt mir am Herzen. Seine Kämpfe liegen mir am Herzen. Aber wie man den Einstieg geschafft hat, so muss man auch den Ausstieg schaffen. Und im Hinblick auf den Biorhythmus des Unternehmens und meinen eigenen ist es der richtige Zeitpunkt.

Lassen Sie uns versuchen, Bilanz zu ziehen, wenn auch etwas verfrüht. Was werden Sie aus Ihrer Zeit bei RTS und SRG an Positivem mitnehmen?

An erster Stelle kommt natürlich der digitale Wandel der SRG. Wir haben die Nachrichtensendung von TSR bereits 2001 ins Internet gestellt. Das hatte bis dahin nur die BBC getan. Diesen Wandel habe ich mit meiner Annäherung von Radio und Fernsehen fortgeführt. Es ging mir um übergreifende Redaktionen, deren Inhalte sich im Internet wiederfinden. Dann kamen die sozialen Netzwerke und Streaming-Plattformen. Und schliesslich wurde Play Suisse geschaffen, mit heute fast einer Million Abonnenten. Das ist die «digitale Schweizer Idee». Erstmals sind alle Produktionen der SRG in allen Regionen und Sprachen verfügbar. Dadurch sind heute beispielsweise die Serien von SRF in der Westschweiz sehr erfolgreich. Ich denke, dass ich die Brückenfunktion zwischen den Regionen verkörpere und die Idee, deren gemeinsame Identität mithilfe der Digitalisierung zusammenzuführen. Manche machen mir diese Entwicklung auch zum Vorwurf.

Dann haben Sie auch ein Web-Archiv aufgebaut.

Ja, auch darauf bin ich sehr stolz. Als 2004 das 50-jährige Jubiläum von TSR anstand, stieg ich in die Keller des Turms hinunter, wo mir ein Essiggeruch entgegenschlug: Bakterien, die Filme zersetzen und audiovisuelle Archive zerstören können. Wenn man da nicht digitalisiert, geht alles verloren. Dabei ist das Archivmaterial sehr wertvoll, da es unser gemeinsames Erbe darstellt. Derzeit geht RTS in die Regionen und zeigt die Archive. Dann sehen die Leute ihre Grosseltern und erkennen, wie Landschaft, Architektur und Gesellschaft sich verändert haben. Das ist einfach grossartig. Ein Riesenerfolg! Ausserdem habe ich mich für die Bekanntheit der SRG im französischsprachigen Raum eingesetzt. Ich war schon immer ein grosser Befürworter von TV5 Monde, das unseren Programmen eine internationale Dimension verliehen hat. Ich habe mich sehr in der EBU, der Europäischen Rundfunkunion, engagiert. Ich bin davon überzeugt, dass die Schweiz weltoffen bleiben muss. Wir können nicht in einem geschlossenen Kreislauf arbeiten.

Was hat weniger gut funktioniert?

Angesichts der Tatsache, dass diese Debatte immer wieder aufs Neue beginnt, ist es mir wohl nicht ausreichend gelungen, einen Teil des politischen Spektrums von der entscheidenden Bedeutung des Service public für die Schweiz zu überzeugen. Einige glauben immer noch, dass es ihnen automatisch besser geht, wenn es der SRG schlechter geht. Meiner Ansicht nach eine absolute Fehleinschätzung.

Also ist und bleibt die SRG für Sie eine Bereicherung, nicht wahr?

Die SRG wird immer wieder mit regionalen privaten Anbietern verglichen. Weil es in der Schweiz keinen nationalen Sender gibt, mit dem wir uns messen könnten. Stellt man den Vergleich mit Betreibern in Frankreich, Italien, Deutschland oder Österreich an, die den gleichen Auftrag, aber mit nur einer Sprache haben, dann sind wir in Sachen Effizienz unschlagbar.

Politik, Medien und Öffentlichkeit: Gibt es, was die Befürchtungen um die SRG betrifft, eine Kluft zwischen diesen Ebenen?

Eher eine wachsende Kluft zwischen der Denkweise der Bevölkerung und der Eliten. Die Rückmeldungen, die wir aus der Bevölkerung bekommen, unterscheiden sich nämlich stark von denjenigen beispielsweise aus der Politik. Ich halte diese Diskrepanz für besorgniserregend.

Wie wird die langwierige Debatte über die Rundfunkgebühren weitergehen?

Sie wird angespannt, zorniger und emotionaler werden. Ein Abbild der Gesellschaft. Soziale Netzwerke sorgen für eine Fragmentierung in kleine, sehr leidenschaftliche Gruppen. Viele Menschen sind nur dann bereit, eine kollektive Entscheidung zu akzeptieren, wenn sie ihren persönlichen Interessen dient. Andernfalls reagieren sie heftig. Die sozialen Netzwerke als Ventil, um Dampf ablassen zu können, werden künftige Kampagnen prägen. Unsere wie auch andere.

Wenn die Gebühr auf ihrem derzeitigen Niveau bleibt, wird es wahrscheinlich in ein paar Jahren eine weitere Initiative gegen sie geben. Muss man die Gebühr unbedingt erhalten?

Diese Frage treibt die meisten europäischen Länder um. Frankreich zum Beispiel hat die Rundfunkgebühren abgeschafft und plant, sie im Rahmen der Mehrwertsteuer abzudecken. Es geht um Unabhängigkeit und eine stabile Finanzierung. Fernsehproduktionen müssen auf lange Sicht geplant werden. Ich bin gerade dabei, die Rechte für die Olympischen Spiele 2030 zu verhandeln! Bei einem Film muss man vom Start bis zur Ausstrahlung vier bis fünf Jahre einplanen…

Wünschen Sie sich jetzt auf eine einsame Insel? An einen Ort ohne Fernsehen, WLAN und Funkwellen?

Keinesfalls. Ich bin definitiv ein Medienfan! Ursprünglich bin ich ja Soziologe. Es interessiert mich sehr, wie die Gesellschaft sich entwickelt. Ich möchte auf keinen Fall aufhören zu arbeiten. Jetzt kommt etwas Neues. Ich weiss zwar noch nicht was, aber da vertraue ich dem Lauf der Dinge.

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