Gilles Marchand

Die Eckpfeiler des audiovisuellen Service public

Die Eckpfeiler des audiovisuellen Service public

Wie in vielen europäischen Ländern ist auch in der Schweiz eine öffentliche Debatte über den Service public in Radio, Fernsehen und den verschiedenen digitalen Medien entbrannt. Sie wird mit viel Leidenschaft geführt und erhitzt die Gemüter, weil sie die eigentlichen Grundpfeiler unseres Landes tangiert: gleichwertige Dienstleistungen in den großen Sprachregionen, die ausgleichende Verteilung der Mittel und die Beziehung zwischen den öffentlichen und privaten Anbietern oder auch die Fähigkeit der Schweiz, ihre Andersartigkeit und ihre Besonderheiten in einer digitalen Gesellschaft, die hypervernetzt und globalisiert ist, zur Geltung zu bringen.

Die digitale Revolution ist ein weiterer Faktor, weshalb die Debatte über den Service public mit so viel Vehemenz geführt wird. Denn die vernetzte Gesellschaft stellt alle Wirtschaftsmodelle der Medienakteure komplett und unwiderruflich auf den Kopf. Alle sind betroffen, suchen Antworten, Perspektiven – egal, ob groß oder klein, international, national oder lokal tätig, Zeitungen ebenso wie Fernsehen und Radio. Ob Printmedien, Newsrooms, Studios oder Produktionsregie: Alle haben das unangenehme Gefühl, «auf Sicht zu navigieren». Die Änderungen im Eilzugstempo sind kaum mit dem eher langsamen Rhythmus der traditionellen Medien und ihren Investitionen vereinbar. «Kurzfristiges» – wie neue Akteure und die Unbeständigkeit der Zielgruppen – kollidiert mit «Langfristigem», wie etwa der Modernisierung der Anlagen oder der Ausbildung von Fachkräften. Dazu kommen die Auswirkungen der «Gratiskultur». Was nichts kostet, ist auch nichts wert. Diese gefährliche Einstellung wird von den unzähligen Onlineangeboten unterstützt, aber auch von den Printmedien, die in den letzten Jahren europaweit im großen Stil Gratiszeitungen auf den Markt gebracht haben.

Die Schweizer Medienlandschaft: ein Zwerg

Und zu guter Letzt sei natürlich auch das Problem der kritischen Größe unseres Landes erwähnt. Die Schweiz zählt acht Millionen Einwohner und hat gleich viele Facebook-Konten wie Haushalte (3,5 Millionen). Wenn das nicht Bände spricht. Zusätzlich ist sie auch noch aufgrund ihrer Sprachvielfalt in drei verschiedene Märkte aufgespaltet. Die Schweiz steht als Zwerg in der weltweiten Medienlandschaft, wo die Riesen ihre fixen Produktionskosten um ein Vielfaches schneller amortisieren als hierzulande. Dadurch können sie qualitativ hochstehende Dienste anbieten, die von überallher zugänglich sind, und zwar zu unschlagbar tiefen Preisen. Darin liegt auch das Geheimnis der Fiction-Produktionen aus Großbritannien oder der Serien, die von Plattformen wie Netflix produziert werden, dessen Flaggschiff-Serie «House of Cards» über ein Produktionsbudget von über 100 Millionen Dollar verfügt. Da ist die leicht angespannte Stimmung im heimischen Markt nicht weiter erstaunlich.

Die Debatte erhitzt nicht nur die Gemüter, sondern wird auch immer komplexer, da man immer weniger in herkömmlichen Medienkategorien denkt. Die Zeitungen legen ihre jeweiligen Print- und Onlinezielgruppen zusammen, ebenso Radio und Fernsehen. Mit der schnellen Verbreitung mobiler, interaktiver Bildschirme und der rasanten Entwicklung des zeitversetzten Videokonsums ist es fast unmöglich geworden, das herkömmliche lineare Fernsehen vom Konsum der A-la-carte-Videos auf den digitalen Kanälen klar abzugrenzen. Da könnte einem glatt schwindlig werden!

Bewegtes politisches Umfeld in ganz Europa

Wenn nun gleichzeitig das politische Umfeld in ganz Europa instabil ist und starke Kräfte nicht davor zurückschrecken, die Hüter der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Grundfesten infrage zu stellen, kann leicht eine Mediendebatte entfachen. In diesem Kontext sind auch die eigentlichen Grundlagen des audiovisuellen Service public zu überdenken. Welche Rolle soll er spielen? Inwiefern ist er legitim? Wie könnte seine Zukunft in einer demokratischen Gesellschaft aussehen? Eines ist zumindest klar: Der Service public steht im Dienste der Gesellschaft, die ihn trägt. Er hat keine anderen «Aktionäre», gegenüber denen er Rechenschaft ablegen muss, als die Bevölkerung, die ihn, je nach Modell, über eine Gebühr oder eine Steuer finanziert. Der Zweck des Service public besteht folglich darin, den Anforderungen der Gesellschaft zu entsprechen.

Und genau auf diesem sensiblen Gebiet der Koexistenz und der Integration ist die Schweiz ein absoluter Profi. Denn sie verfügt über ein komplexes, aber gut funktionierendes föderalistisches Modell nach dem Prinzip der Gewaltenteilung, «check and balance», auf dem unser soziales Gefüge Schritt für Schritt methodisch aufbaut. Auch der Service public ist mit diesem Grundsatz vertraut, denn er bildet die Basis der Konzession. Mit den Radio- und Fernsehprogrammen und dem interaktiven Angebot in vier Sprachen muss er die verschiedenen Zielgruppen vereinen und gleichzeitig ihre kulturellen Unterschiede respektieren. Definitionsgemäss dürfen die Service-public-Programme niemanden ausschließen, egal welcher Herkunft, Überzeugung, Altersklasse oder mit welchem Bildungsniveau. Global gesehen ist der Service public also in doppelter Hinsicht ein Grundversorger für Radio, Fernsehen und Onlinedienste. Erstens weil sein Angebot alle Programmbereiche abdeckt (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Sport, Kultur, Unterhaltung) und zweitens weil es alle Zielgruppen erreicht. Genau diese Eigenschaft als Grundversorger wird von den privaten Akteuren, die im Rückzug des Service public die Basis für ihren Erfolg sehen, jedoch angegriffen.

Der audiovisuelle Service public als Baukastensystem

Während wir in der Schweiz über die konkreten Ziele der Service-public-Programme diskutieren und darüber, welches Unternehmen sie umsetzen soll, lohnt es sich, einen Moment innezuhalten und über die tiefgreifenden Mechanismen nachzudenken, die den audiovisuellen Service public ausmachen. Aber wie funktioniert der Service public in den Bereichen Radio, Fernsehen und Onlinedienste überhaupt?

Die nachfolgende Grafik orientiert sich eng am «Schweizer Baukastensystem», gilt aber, mit leichten Abwandlungen, auch für Europa. Sie beruht auf einer systemischen Analyse, derzufolge jedes Element dieses Gebildes in ständiger und dynamischer Interaktion mit den anderen Teilen steht. Die möglichst harmonische Bewegung des gesamten Systems verleiht ihm Legitimität.

Universalität der Zielgruppen und Themenbereiche, angetrieben von einem Viertaktmotor, der sich aus der Achtung der Vielfalt, der Einzigartigkeit, der Integration und dem Gleichgewicht zwischen lokalen und globalen Aspekten zusammensetzt. Diese Dynamik wirkt sich über seine nachgewiesene Leistung und Effizienz sowohl auf das Service-public-Unternehmen aus als auch auf die Relevanz seiner Programme und seine Präsenz in den verschiedenen Medien. Dieses Gesamtgebilde, das sich in ständiger Bewegung befindet und laufend neu ausgerichtet wird, legitimiert somit den Service public.

 

book-07210776Artikel aus dem Buch „Médias publics et société numérique“, erschienen bei Editions Slatkine Genève 2016, Autoren: Patrick-Yves Badillo (Koord.), Dominique Bourgeois, Ingrid Deltenre, Gilles Marchand.

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