Gilles Marchand

Die Zauberlehrlinge und der Plan B

Glaubt man den zahlreichen Experten, die Tag für Tag frei erfundene Szenarien aus ihrem Hut zaubern, scheint es durchaus möglich, einen viersprachigen audiovisuellen Service public für alle Landesteile ganz ohne Gebühr anzubieten. Demnach liesse sich die SRG dank Werbung und des Wunders «Pay per View» finanzieren, während sich die Chefs der SRG aus niederträchtigen, rein taktischen Gründen weigerten, dieses neue Unternehmensmodell aufzugleisen, weil damit ihre Pfründe und Privilegien verloren gingen. Das ist tolles Storytelling! Doch leider sehen die Fakten und die professionelle Realität etwas anders aus. Schauen wir uns den sogenannten Plan B doch mal etwas genauer an.

Der «Plan B» ist ein Fantasiegebilde

Heute generieren die Sender der SRG knapp 230 Millionen Franken Werbeeinnahmen. Natürlich hängen diese Einnahmen direkt mit den Medienleistungen von SRF, RTS und RSI zusammen, die eher gut sind: Ihr Marktanteil beträgt im Schnitt 33 Prozent zur Primetime. Täglich werden so 3,5 Millionen Fernsehzuschauer erreicht. In einem gesättigten Markt, der von Hunderten von Sendern und digitalen Anbietern bestürmt wird, sind diese Zahlen selbstverständlich die direkte Folge der Programme, welche die SRG produziert und einkauft.

Es ist offensichtlich, dass die Nutzerzahlen der SRG – und damit auch die Werbeeinnahmen – rasch einbrechen würden, sollten die Mittel zur Entwicklung des Programmangebots wegfallen. Heute erhält die SRG öffentliche Gelder in der Höhe von 1,25 Milliarden Franken. Und das für alle vier Sprachregionen. Zur Erinnerung: Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland verfügen über 8 Milliarden Euro, in Frankreich über 4 Milliarden, in Italien über 3 Milliarden. Und dies für eine einzige Sendesprache.

Damit die Werbeeinnahmen der SRG auf dem aktuellen Stand gehalten oder gar gesteigert werden können, müsste für diese 1,25 Milliarden also ein Ersatz gefunden werden, um die Einschaltquoten aufrechtzuerhalten. Wie das? Man erklärt uns, dass das via Bezahlung à la carte oder via Abogebühren geschehen soll. Das trifft sich gut, denn ein solches System wurde tatsächlich bereits ausprobiert. Und zwar in der Schweiz, genauer im Wallis. Schauen wir dieses Experiment doch mal an. Kanal 9, ein ausgezeichneter kantonaler Sender, verfügte über eine kabelgebundene Gebühr von 1,8 Millionen Franken pro Jahr. Eines Tages entschied der Kabelanbieter, diese Gebühr abzuschaffen. Hierauf lancierte Kanal 9 eine riesige Marketingkampagne, um die Gebühr in Abos umzumünzen. Das Resultat: Von 1,8 Millionen Franken brachen die Einnahmen von Kanal 9 auf sage und schreibe 300 000 Franken ein. Und sie sind seither ständig weiter gesunken. Heute ist es für Kanal 9 eine Frage des Überlebens, eine «Billag»-Gebühr zu erhalten, um weiter aktiv zu bleiben – übrigens sehr zum Wohlgefallen der Walliserinnen und Walliser.

Die Geister, die ich rief …

Zurück zu den Zauberlehrlingen. Sollte die Empfangsgebühr tatsächlich zu einem Abruf- (Video on demand) oder Abodienst umgebaut werden, liesse sich die viersprachige Schweizer Produktion nie und nimmer finanzieren. Das Walliser Beispiel zeigt das. Vielmehr würde dies zu  einer drastischen Programmreduktion bei der SRG führen (und bei den 34 privaten Radio- und TV-Sendern, die heute ebenfalls von der Gebühr profitieren). Und zu einem genauso drastischen Einbruch der Einschaltquoten und somit auch der Werbeeinnahmen. Der Teufelskreis ist vorprogrammiert.

Es wäre unmöglich, ein viersprachiges Vollprogramm in allen Landesgegenden aufrechtzuerhalten. Darum stellen sich gewisse Kreise bereits vor, Parlament und/oder Bundesrat werden dann schon eine Lösung finden und den Volkswillen irgendwie zurechtbiegen! Das ist nicht nur undemokratisch, es entspricht auch nicht dem Initiativtext. Dieser fordert nämlich äusserst präzise und genau, dass es fortan verboten sein soll, irgendwelche öffentlichen Mittel zu verwenden, sei es über den allgemeinen Staatshaushalt oder über eine Gebühr.

Es gibt keinen seriösen und realistischen Plan B. Das ist Fakt. Hingegen gibt es einen Plan AB. AB wie Abbau. Ein rascher, endgültiger Abbau der SRG. Das Ganze ist kein Spiel. Man spielt weder mit dem Publikum noch mit den 13 000 direkten und indirekten Arbeitsplätzen, welche die Aktivitäten der SRG generieren. Das ist eine Frage der Verantwortung und der Professionalität. Und auch der intellektuellen Redlichkeit.

Gilles Marchand,
Generaldirektor SRG

Vincent Bornet,
Direktor Canal 9

Artikel erschienen in Le Temps am 10. Dezember 2017

 


Interview mit Gilles Marchand in «19h30» vom 3. Dezember 2017

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