Gilles Marchand

Ein Jahr danach…

Auf Englisch gehaltene Rede von SRG-Generaldirektor Gilles Marchand anlässlich der Eröffnung der Radiodays Europe am 1. April 2019 an der ETHL in Lausanne.

(…) Ich freue mich sehr, Sie heute, ein gutes Jahr nach der historischen Abstimmung, nach dem Ja zum Service public, hier begrüssen zu dürfen. 71 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer haben mit ihrer Stimme ihre Verbundenheit zum Gebührensystem, zur SRG und zu den konzessionierten privaten Radio- und Fernsehveranstaltern ausgedrückt. Die Abstimmungskampagne im Vorfeld war für die SRG schwierig und intensiv, aber auch spannend. Ich möchte einige der Learnings, die wir daraus gezogen haben, mit Ihnen teilen.

Erstens haben wir erlebt, wie sich aus der Situation heraus neue politische Ad-hoc-Allianzen gebildet haben zwischen jungen radikal freiheitlichen Bewegungen, die sich für die Werte der digitalen Gesellschaft starkmachen, und traditionelleren, konservativeren, nationalistischeren politischen Kräften. Diese beiden gegensätzlichen Bewegungen haben sich zusammengetan, um gemeinsam eine öffentliche Institution zu bekämpfen, in diesem Fall die SRG. Die Libertären lehnen eine obligatorische Empfangsgebühr grundsätzlich ab und die Konservativen sind der Meinung, dass der Service public eingeschränkt und verkleinert werden müsse. Gegen so unterschiedliche Haltungen zu argumentieren, ist kein Leichtes – vor allem, wenn man selbst keine Kampagne machen darf.

Die Jungen für den Service public

Zweite Erkenntnis: Die Jungen glauben nach wie vor an den Service public. Sie haben die SRG massiv unterstützt. Natürlich sind junge Menschen weniger loyal gegenüber Service-public-Programmen, aber sie verteidigen die gleichen Werte, die auch wir verkörpern. Sie unterstützen das, was wir repräsentieren, ebenso wie das, was wir sind. Eine wertbezogene Argumentation ist daher für sie entscheidend.

Dritte Lektion: Der Medienmarkt, der sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet, verlangt nach Partnerschaften zwischen Öffentlichen und Privaten. Der Service public muss eine sinnvolle Rolle im medialen Ökosystem der Schweiz spielen.

Und schliesslich haben wir ein riesiges Bedürfnis nach Austausch zwischen der Bevölkerung und dem Service public festgestellt. Das mag mit der direkten Demokratie zusammenhängen, der wir aus Tradition verpflichtet sind. Eines aber steht fest: Dieser Dialog mit dem Publikum muss konstant geführt und darf nicht über die üblichen Stakeholder gefiltert werden.

All die intensiven Diskussionen haben uns auch wichtige Trends erkennen lassen: Es besteht ein starker Bedarf an qualitativ hochwertigem Journalismus, der zuverlässig, seriös und vertrauenswürdig ist.

Und auch Reinvestitionen in die Kultur und die damit verbundene Vielfalt sind nötig. In diesem Bereich wird vom Service public viel erwartet. Denn der Markt erlaubt keine Finanzierung von kulturellen Produktionen, insbesondere nicht in kleinen, mehrsprachigen Ländern wie der Schweiz.

Es besteht nach wie vor grosser Bedarf an Orientierung und starken Wurzeln, die wir durch unsere langjährige und solide Beziehung zur Öffentlichkeit bieten können. Je globaler die Welt wird, je mehr Angst und Unsicherheit sie auslöst, desto wichtiger werden wir im Alltag der Menschen.

Und ein letzter Trend, der sich in der Schweiz wie in den meisten Ländern ausmachen lässt: Der Zugang zu den Programmen muss neu gestaltet und der personalisierte partizipative und mobile Bezug der Inhalte vereinfacht werden. Ich spiele hier natürlich auf unsere Plattformen an, die eine Nutzung der Programme nach freier Wahl ermöglichen.

Die nächste grosse digitale Welle wird das Audio-Angebot betreffen

Ich bin überzeugt, dass die nächste grosse digitale Welle das Audio-Angebot erfassen wird. Es wird eine mächtige Welle sein, so wie die, die vor rund fünfzehn Jahren den Videobereich ergriffen hat.

In der Schweiz ist die lineare Nutzung der Radioprogramme rückläufig. Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Hörerschaft tendenziell. Die Lösung besteht zweifelsohne darin, unsere traditionellen Angebotsflüsse, die zu DAB+ wechseln, mit Audio à la carte zu ergänzen. Dafür werden wir eine echte Strategie für Podcast-First-Angebote entwickeln. Die Sprachsteuerung wird sich durchsetzen. Unsere mediale Gesellschaft wird vom Taktilen (Smartphones) abkommen und zum Verbalen (Smart Speaker) wechseln.

Nachdem wir die Abstimmungsresultate bis ins Detail analysiert haben, haben wir eine neue Strategie verabschiedet, die auf drei grosse Ideen baut:

Wir setzen auf mehr Unterscheidbarkeit, sowohl bei den Programmen wie auch in der Haltung des Unternehmens. Wir glauben, dass die Legitimation einer Empfangsgebühr immer klarer in der Andersartigkeit im Vergleich zu anderen Medienangeboten liegt.

Zweitens werden wir Kooperationen mit privaten Medien und Institutionen wie der ETH Lausanne anstreben, auf deren Campus wir uns heute befinden. Zusammen mit Kollegen der Printmedien haben wir eine kleine Einheit gegründet, die sich mit innovativen Projekten im Bereich der Medien befasst. Und mit den Schweizer Privatradios haben wir nach britischem Modell den «Swiss Radioplayer» lanciert.

Drittens müssen wir effizienter werden, denn uns stehen weniger Mittel zur Verfügung. Das ist wirklich paradox. Denn heute, wo uns 71 Prozent der Bevölkerung ihr Vertrauen schenken, werden wir mit Budgetkürzungen von ca. 6 Prozent konfrontiert, zu denen noch problematische Entwicklungen bei den Fernsehwerbeeinnahmen hinzukommen. Fazit: Wir müssen uns neu organisieren und dabei unsere Programme und unsere Teams bestmöglich schützen. In einem föderalistischen Land, das stark dezentral funktioniert, ist das eine besonders anspruchsvolle Aufgabe.

Lassen Sie mich mit drei Erkenntnissen für den Service public schliessen:

  • Leistung, Marktanteile und Reichweiten der Medien sind wichtige Grössen, aber nicht ausreichend, um einen Fortbestand zu legitimieren.
  • Ohne Digitalisierung wird es nicht gehen, aber sie bleibt ein Mittel und ist nicht der Zweck.
  • Mehrwert entsteht zuallererst durch Einzigartigkeit!

 

Gilles Marchand
Generaldirektor SRG

 

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