Gilles Marchand

Geschichte teilen, Geschichte erleben

Heute, am 27. Oktober 2016, ist der Unesco-Welttag des audiovisuellen Erbes. Die Fonsart und RTS nutzen die Gelegenheit, um die Neuauflage ihrer partizipativen Geschichtsplattform www.notrehistoire.ch vorzustellen. Seit gut zehn Jahren investiert RTS viel Zeit und Geld in die Restaurierung, Digitalisierung und Aufwertung ihrer audiovisuellen Archive. Zu diesem Zweck hat sie die Stiftung Fonsart gegründet, die sich im Lauf der Zeit einen einzigartigen Wissensschatz in der Aufbereitung audiovisueller Archive erworben hat. Weshalb engagiert sich RTS so stark?

Zukunft braucht Herkunft. Dies gilt auch für Regionen und ganze Länder. Das öffentliche Radio und Fernsehen trägt – nicht zuletzt, da es weitgehend mit Publikumsmitteln finanziert wird – eine ganz besondere Verantwortung, nämlich das Erbe zu bewahren, Erinnerungen weiterzugeben und das kollektive Gedächtnis zu erhalten. Ausserdem sind die Archive ein Schatz an lebendigem Material, das sich in den heutigen Sendungen sehr gut nutzen lässt, etwa um aktuelle Themen oder Magazinsendungen zu illustrieren oder ganz einfach als Wiederholungsmaterial. Die Institution Fernsehen ist gleich alt wie der grösste Teil der Zuschauerinnen und Zuschauer (50+) – das verbindet. Bezüge zur Vergangenheit und Rückblicke sind aber gerade auch bei einem jungen Publikum sehr beliebt. Und nicht zuletzt sind Urheberrechte an Medieninhalten in einer digitalisierten Welt erfolgskritisch für Medienanbieter. Wer Beiträge produziert und die Rechte hält, kann diese aus einer Position der Stärke heraus auf sämtlichen digitalen Plattformen erneut anbieten. Dies ist das Geheimnis des Erfolgs von RTS im digitalen Geschäft.

Erinnerung als Gemeingut

Gedächtnis ist ein Gemeingut. Niemand kann die Exklusivrechte an Erinnerungen beanspruchen. Im Gegenteil: Erinnerungen müssen nach Möglichkeit geteilt werden. Genau dies, nämlich Teilen und Öffnen, hat sich die Plattform www.notrehistoire.ch insbesondere in ihrer Neuauflage zum Ziel gesetzt. Archivierte Inhalte (Texte, Fotos und Videos) werden geteilt und neue öffentliche und private Bestände geöffnet.

So soll im Lauf der Zeit eine grosse Bibliothek aus digitalen und partizipativen Archiven der Westschweiz entstehen. Nicht nur als Ort, wo Geschichte erhalten bleibt, sondern auch als Ort, wo, Geschichten und die Geschichte der Westschweizer Gesellschaft erzählt werden. «notrehistoire.ch» leistet somit einen starken Beitrag zur Aufklärung und Integration in unserem Kulturraum.

Aufklärung dank der Forscherinnen und Forscher, für die auf «notrehistoire.ch» einmaliges Material zur Dokumentation und Veranschaulichung unserer jüngsten Geschichte zur Verfügung steht, Integration, da das Bewusstsein einer gemeinsamen Geschichte Zusammengehörigkeitsgefühle weckt. Daher begrüssen wir die Tatsache, dass andere wichtige Bestände sich diesem innovativen Projekt anschliessen.

Bewahren, um zu erzählen

Solch ehrgeizige Ziele steckt man sich nicht alleine im stillen Kämmerlein. Hier sind Partnerschaften gefragt, in die sämtliche Beteiligten ihr spezifisches Know-how einbringen. An erster Stelle stehen die Partnerschaften mit der akademischen Welt, das heisst mit den Fakultäten für Geschichtswissenschaften, Forschungslaboratorien oder auch den sogenannten «digitalen Geisteswissenschaften». «notrehistoire.ch» stellt der Forschung ein kostbares und unbearbeitetes Betätigungsfeld zur Verfügung. Historikerinnen und Soziologen, Ökonominnen und Politologen sind aufgerufen, es so gut wie möglich zu nutzen!

Neben den Beziehungen zu den Hochschulen sind auch die Beziehungen zu den Institutionen auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene zu pflegen. Auch hier schlummert ein reiches historisches Erbe. Auch hier laden wir alle herzlich ein, sich an unserer Plattform «notrehistoire.ch» mit ihren Museen, Stiftungen und Bibliotheken zu beteiligen. Auch hier steht das Teilen und Öffnen im Vordergrund. Memoriav, dieser nationalen und für die Erhaltung des audiovisuellen Kulturguts essenziellen Organisation, können wir in diesem Zusammenhang gar nicht genügend danken. Und nicht zuletzt geht es hier auch um die Zusammenarbeit mit Forschungslaboren und Start-ups auf technologischem Gebiet. Rund um die ETH Lausanne ist in der Westschweiz ein reichhaltiges Netzwerk an Wissensträgern entstanden. Die Geschichte und ihre Entschlüsselung agieren hier zweifelsohne als wissenschaftliche und technologische Beschleuniger. Dies gilt vor allem für Neuinterpretationen im Gesamtzusammenhang, semantische Analysen und die Lokalisierung. Das Einzige, was noch fehlt, sind Forschungsmittel. Daher ein weiterer Aufruf: Stiftungen und Gönner, die sich für unsere gemeinsame Geschichte interessieren, sind mehr als willkommen.

Zusammen haben wir unsere Region geprägt und zu dem gemacht, was sie heute ist. Nun sind wir alle aufgerufen, unsere Geschichte nicht nur zu bewahren, sondern sie auch möglichst gut zu erzählen.

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