Gilles Marchand

Lachen ist gut für die Gesundheit und gut für die Demokratie. Und wir brauchen beides!

Rede gehalten in Montreux am 7. Dezember 2021 anlässlich der ersten «Etats Généraux de l’humour».

 

Die «Etats Généraux de l’humour en Suisse», also die Generalversammlung des Schweizer Humors, ist eine echte Herausforderung, gerade auf nationaler Ebene. Denn Humor ist eine facettenreiche, vielfältige Angelegenheit und natürlich eine Frage der Kultur. Und Kultur wiederum ist ein weites Feld gemeinsamer Geschichten und Bezüge. Gerade in der Schweiz ist das hochkomplex.

Denn wir haben kulturelle Bezüge und natürlich Begriffe, Tempi und auch Pausen, die je nach Ort unterschiedlich verstanden und aufgenommen werden. Manches muss explizit ausgesprochen, anderes implizit angedeutet werden. Manches gesagt werden, anderes nicht. All dies zusammen ergibt ein immer wieder überraschendes Zusammenspiel eidgenössischer Besonderheiten. Schon bei der jährlichen Verleihung des Schweizer Filmpreises oder der Schweizer Musikpreise lässt sich rasch feststellen, dass manche, die in der einen Region sofort Begeisterung auslösen, in der anderen völlig unbekannt sind.

Es gibt durchaus einige Ausnahmen: Häufig mussten diese aber zunächst international Karriere machen, bevor sie endlich auch zu Hause, auf beiden Seiten von Saane und Gotthard, Anerkennung fanden. Und ja, es gibt auch diejenigen, die spielerisch leicht in mehreren Sprachen auftreten können. Es sind wenige, die aber (insbesondere von der SRG) gerne gebucht werden – was ein wenig den Blick auf die Wirklichkeit verschleiert. Kultur ist natürlich viel mehr als nur Sprache. Und dennoch: Trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen ist diese Initiative der «Etats Généraux» enorm wichtig. Dafür gibt es meiner Ansicht nach vor allem zwei Gründe.

Wir müssen uns verstehen!

Zunächst einmal denke ich, dass wir uns in der Schweiz zwingend verstehen müssen. Unsere Gesellschaft funktioniert im Grossen und Ganzen recht gut, weil wir es so wollen. Der Zusammenhalt ist in der Schweiz aber keine Selbstverständlichkeit. Wir haben keine vertikale Geschichte. Und wenn wir uns nicht nur darüber definieren wollen, was wir alles nicht sind, müssen wir uns verstehen.

Dies ist umso wichtiger, als die Digitalisierung unsere Gesellschaft weiter fragmentiert. Diese Spaltung geschieht in einem Kontext, in dem Emotionen, Empörung und Vereinfachung dafür sorgen, dass die Vernunft sich nur schwer Gehör verschaffen kann. Die technologischen Revolutionen und die Digitalisierung, verkörpert durch die sozialen Netzwerke, haben uns in das Zeitalter des Buzz, Clash, Trash, der Unmittelbarkeit und des freien Zugangs geführt, was die Menschen – gefesselt an ihre Smartphones – verführt.

Die Herausforderung besteht heute also darin, das gesellschaftliche Band zwischen Individuen aufrechtzuerhalten, die weniger durch Territorien und Institutionen als durch Empfindungen, eine gemeinsame Identität oder eine digitale Gemeinschaft verbunden sind.

Dies ist umso wichtiger, als die Menschen dazu tendieren, ihre Achtung vor den Institutionen davon abhängig machen, ob ihre persönlichen Erwartungen erfüllt werden. Das öffentliche Interesse ist jedoch nie die Summe aller Partikularinteressen. Im Gegenteil: Es ist das Überwinden von Partikularismen dank einer gemeinsamen Vision. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die einzelnen Individuen nur durch den gemeinsamen Willen zum Protest, zum Dagegensein geeint sind. Ohne Konsens, der einen gemeinsamen Willen hervorbringt, kann die Schweizer Gesellschaft nicht funktionieren. Sie braucht gemeinsame Ideen und Gefühle, um Widersprüche zu überwinden und Sinn zu schaffen.

Wir müssen also über unsere Gemeinsamkeiten sprechen. Diese Generalversammlung trägt dazu bei.

Der zweite Grund, warum dieses Treffen so wichtig ist, betrifft das Thema an sich.

Über alles lachen und lächeln können

Eine demokratische Gesellschaft braucht zwar eine gemeinsame Vision, ebenso wie sie eine ausgewogene, professionelle Berichterstattung benötigt – aber sie braucht auch eine kritische Distanz. Sie muss über sich selbst, ihre Mächtigen und ihre Institutionen lachen können – auch die religiösen. Hier denke ich an ein langes Schreiben, das ich im Anschluss an die Serie «JC», die auf RTS lief, erhalten habe. Oder nehmen wir die grosse Debatte, die südlich der Alpen aufkam und die bis nach Bern zu hören war, nachdem David Castello-Lopes die Tessiner auf die Schippe genommen hatte. Blitzschnell fand dieser Beitrag dank (oder wegen) der sozialen Netzwerke seinen Weg über den Gotthard.

Aber man muss über alles lachen und lächeln können, wenn die Absicht genau die ist, zu lachen und zu lächeln.

Unabhängig vom Genre – von der Satire über Spielshows, schwarzen Humor, Memes, Burlesque, Stand-up, Parodie bis hin zur Talkshow. Die Liste liesse sich fortsetzen. All diese Genres sind wichtig. «Lachen ist gut für die Gesundheit», erklärte 2016 mit unbewegter Miene ein zwischenzeitlich weltberühmt gewordener Bundesrat. Lachen ist gut für die Gesundheit und gut für die Demokratie. Und gerade jetzt brauchen wir beides!

Die SRG sorgt für zahlreiche Produktionen, Koproduktionen und Aufnahmen in den einzelnen Regionen. Hier trägt der Service public die Verantwortung, die Szene und den Nachwuchs zu begleiten und im Radio und im Fernsehen einen Platz einzuräumen. Und dank der Entwicklung im digitalen Bereich zeichnen sich neue Möglichkeiten ab. Manche Projekte gehen wir überregional an wie kürzlich die satirische Animationsserie «let’s say», die sich junge Autorinnen und Autoren aus allen Sprachregionen ausgedacht haben.

Und dann ist da noch unsere grosse Streaming-Plattform Play Suisse, die mir sehr am Herzen liegt und die dem Service public ganz neue Möglichkeiten bietet. Dort haben wir über 2700 Titel mit Untertiteln in drei, manchmal vier Landessprachen im Programm. Und wir haben bereits 340’000 Logins, das heisst 700’000 Nutzerinnen und Nutzer erreicht. Nach und nach entsteht das Gefühl eines gemeinschaftlichen Service public, das die mitunter etwas engstirnigen Regionalismen überwindet. Ein Drittel der auf Play Suisse abgespielten Videos stammen aus anderen Sprachregionen. Die Serie «Zweibeiner» zum Beispiel ist auf der Plattform neben Französisch auch mit Untertiteln in Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch verfügbar. Auf Play Suisse müssen Humor und Komik ihren Platz haben.

Lassen Sie mich abschliessend noch einen letzten Gedanken formulieren. Unser Schweizer Ökosystem für Produktionen ist sehr klein, wir sind ein winziges Fleckchen auf der Weltkarte. Und gerade deshalb müssen wir alle zusammenarbeiten, Partnerschaften finden und erfinderisch sein, um Produktionen auf die Beine zu stellen, die ansonsten unmöglich blieben. All dies im Interesse der Öffentlichkeit.

Das ist seit Langem meine Überzeugung. Es ist auch der Grund, warum wir politischen Initiativen entgegentreten müssen, die dieses ebenso zerbrechliche wie wertvolle Ökosystem zerstören wollen.

 

Gilles Marchand
Generaldirektor SRG

 

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