Gilles Marchand

Play Suisse, 1 Million … und viele Erkenntnisse für die Zukunft.

Hinter den Feierlichkeiten steht die reale Freude über eine grosse Anerkennung – vielen Dank an das Publikum! -, der grossartige Erfolg von Play Suisse und das Durchbrechen der Marke von einer Million Abonnentinnen und Abonnenten liefern viele interessante Erkenntnisse über die Medien- und digitale Landschaft in der Schweiz.

 

Zunächst einmal ist es nun erwiesen, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer dafür interessieren, was in anderen Regionen des Landes produziert wird.

Mehr als 40 % der Inhalte, die auf Play Suisse abgespielt werden, stammen aus anderen Sprachregionen. Angefangen übrigens mit den hervorragenden Spielfilmen von SRF, die in der Romandie, im Tessin und natürlich in Graubünden anerkannt und geschätzt werden.

Alle, die wie ich das gefühlte Alleinsein bei nationalen Abenden erlebt hat, an denen Musik oder Filme gefeiert werden, kann es nachvollziehen. Es mutet seltsam an, Kunstschaffenden zu gratulieren, deren Talent es schwer hat, die Grenzen der Sprachregionen zu überwinden. Wenn die einen mit wissendem Blick von der Bestätigung einer künstlerischen Leistung schwärmen, die mit einem nationalen Preis gewürdigt wird, fragen sich die anderen vage und peinlich berührt, wer zum Teufel dieser für sie unbekannte Star ist. Play Suisse bricht mit diesem Dilemma.

Sofern die Auswahl und die „User Experience“ stimmen, können die Schweizer Werke von Genf über Mendrisio, Scuol, Poschiavo, Basel, Delémont oder Vallorbe und Brig bis nach Romanshorn oder Schaffhausen genossen werden.

Wir wollten Brücken schlagen, und das haben wir getan. Und es sind wirklich tolle Brücken. Eine durchschnittliche aktive Session auf Play Suisse dauert 58 Minuten!

In diesem Kontext gerne ein besonderes Kompliment an die ausgezeichnete Schauspielerin Anna Pieri Zuercher, die in Spielfilmen aus der Romandie (z. B. Double vie), der Deutschschweiz (Tatort) und sogar aus dem Tessin (Alter Ego) mitspielt.

 

Login ist möglich, auch für den Service public!

Zweite Erkenntnis, das „Login“ ist möglich, auch für die SRG… Was hat man nicht alles über dieses „Verbrechen“ gegen den Service public gehört.

Dennoch hat sich also einer von vier Schweizer Haushalten – in weniger als vier Jahren – dazu entschlossen, sich auf der nationalen Plattform der SRG zu registrieren. Diese Anmeldung ist natürlich kostenlos. Jede:r zweite Abonnent:in, also 500’000 Personen, erklärten sich zudem damit einverstanden, regelmässig Informationen über die SRG-Plattform zu erhalten. Eine objektiv hervorragende «engagement Rate». Das ermöglicht zahlreiche Empfehlungen und Ratschläge, insbesondere um noch mehr und besser zu fördern und zu entdecken, was in den anderen Teilen des Landes erarbeitet wird.

Warum diese Begeisterung? Weil die Spielregeln klar sind, das Vertrauen in öffentliche Sender da ist und die Anmeldung echte Mehrwerte bietet, wie Untertitel oder Synchronisationen in den Landessprachen, Übertragbarkeit von einem Bildschirm zum anderen, elterliche Kontrolle, Zugang aus dem Ausland, persönliche Playlists und natürlich die Benutzeroberfläche in der eigenen Sprache.

 

Herzlich empfehlen, aber niemals einsperren

Diese Begeisterung bringt auch Verantwortung mit sich. Die Daten sind sicher, sie werden nicht vermarktet – keine Frage! Hingegen ist es sinnvoll, sie zu nutzen. Und damit die Frage nach unserer Beziehung zu Algorithmen zu stellen. Wie empfehlen wir, ohne einzusperren? Wie lassen wir ein gewisses Mass an Unvorhergesehenem und Überraschendem zu, während wir gleichzeitig begleiten? Dies ist typischerweise eine wichtige Frage für den Service public.

Die Registrierung ermöglicht eine direkte Beziehung zur Öffentlichkeit. Sie ist eine Art emotionales und greifbares Band, das die Beziehung zum Service public verfestigt. In einer Welt, die bald von neuen Nutzungsformen, künstlicher Intelligenz und Antwort- wie auch Such-Maschinen überschwemmt werden wird, ist diese Verbindung entscheidend. Denn die neuen digitalen Angebote werden Autor:innen und Marken nach und nach ausradieren. Nun ist das Vertrauensverhältnis zu einem öffentlichen Sender schlichtweg die Existenzberechtigung. Wenn diese Bindung wegfällt, wie lässt sich dann ein Gebührenmechanismus legitimieren?

In diesem Zusammenhang wirft Play Suisse ein neues Licht auf die Verwendung der berühmten Radio- und Fernsehgebühr. Zum ersten Mal in der Geschichte der SRG kann ein Westschweizer problemlos deutschsprachige oder italienischsprachige Produktionen entdecken und schätzen lernen, eine Tessinerin wird feststellen, dass auch die Rätoromanen interessante Serien anbieten können.

Wenn man bedenkt, dass Play Suisse einen Katalog mit über 3000 Schweizer Werken anbietet, wird diese grosse „Entdeckbarkeit“ wichtig. Vor allem bei unserem solidarischen Finanzierungssystem. Hier sei daran erinnert, dass die Deutschschweiz über 70 % der SRG-Einnahmen erwirtschaftet, aber nur 40 % davon einbehält. Die italienische Schweiz steuert 4 % bei und erhält über 20 %. Die Westschweiz profitieren von über 30 % und tragen rund 20 % bei. In einem solchen System, das eine echte Bürgerreife erfordert – die übrigens vom Volk bestätigt wurde, als es die No-Billag-Initiative 2018 massiv abgelehnt hat – ist es notwendig, dass die Bevölkerung versteht, wofür ihre Gebühren verwendet werden. Play Suisse trägt dazu bei.

 

Das nationale kreative Schaffen aufzuwerten, bedeutet Verankerung ohne zu Klammern

Schliesslich zeigt die Erfahrung von Play Suisse, die von unseren europäischen Kolleginnen und Kollegen sehr aufmerksam verfolgt wird, auf eindrucksvolle Weise, dass es möglich ist, die digitale Entwicklung in den Dienst eines öffentlichen Auftrags zu stellen. Das nationale Schaffen in einer globalisierten und vernetzten digitalen Gesellschaft aufzuwerten, ist wichtig.

Es handelt sich dabei nicht um eine Haltung des ängstlichen Festklammerns oder um den Versuch einer protektionistischen kulturellen Sonderstellung.

Im Gegenteil: Die Vorgehensweise ist offen. Sie zeigt, was wir produzieren. Sie zeugt von einer Produktion, die in unseren soziokulturellen Realitäten verankert ist und in der Lage ist, von unserem Land zu erzählen, eine lebendige Narration zu entwerfen. Diese Produktion wird im Übrigen international anerkannt und gelobt. Die grossen Player, allen voran Netflix, interessieren sich für unsere Geschichten so sehr, dass sie sie kaufen (z.B. Neumatt) oder koproduzieren wollen (Winter Palace). Ebenso wie unsere ausländischen Kolleg:innen, die sich für unsere Produktionen engagieren (ARD mit Davos).

All das ist gut für die Ausstrahlung der Schweiz und ihrer Kunstschaffenden.

Ein Beispiel dafür? Wilder, eine deutschsprachige Serie unter der Regie des Westschweizers Pierre Monnard (Staffel 1 und 2), von Jean-Eric Mack (Staffel 3) sowie von Claudio Fäh und Mauro Mueller (Staffel 4), die für Play Suisse vollständig auf Französisch (und Italienisch) synchronisiert wurde, die wir TV5Monde Plus angeboten haben und die lange Zeit an der Spitze der meistgesehenen Fiktionen auf der französischsprachigen Plattform stand – und zwar auf der ganzen Welt! Ein Musterbeispiel für Schweizer „Soft Power“.

Die Schweizer Filmbranche ist sich dessen bewusst. Sie unterhält ausgezeichnete Beziehungen zu dieser nationalen Plattform, die es ermöglicht, die regionalen Grenzen zu überbrücken. Warum um alles in der Welt sollten die Schweizerinnen und Schweizer, die eifrig Programme auf Netflix, Amazone Prime oder Sky konsumieren, auf regionale Territorien beschränkt bleiben, wenn es sich um Schweizer Produktionen handelt?

Der neue Pacte de l’audiovisuel, der die Branche an die SRG bindet, ist ein perfektes Spiegelbild dieser Offenheit. Die Diskussionen im Zusammenhang mit dem Pacte drehten sich zu einem guten Teil um die Verbreitungskaskade, die Pay-per-View-Angebote mit der traditionellen Broadcast-Verbreitung integriert.

 

Drei grosse Herausforderungen für die Zukunft von Play Suisse

Es gibt also viele Gründe zur Zufriedenheit in diesem Abenteuer „Play Suisse“ und ich möchte allen Teams, die sich unermüdlich für diese einzigartige Entwicklung eingesetzt haben, herzlich gratulieren und danken.

Natürlich gibt es immer wieder einige Skeptiker:innen, die ausschliesslich darauf hinweisen, was noch nicht perfekt ist und was noch getan werden muss. Das ist die universelle Geschichte des halbleeren Glases. Abgesehen von der Haltung sollte man den kritischen Stimmen jedoch zuhören. Denn inhaltlich ermutigen sie dazu, immer weiter zu optimieren, was noch verbessert werden muss.

Ich sehe drei Herausforderungen für die Zukunft von Play Suisse.

Die erste betrifft die Verbreitungsstrategie. Die SRG plant, wie alle historischen Fernsehsender, ihre Filmproduktion (Spiel- und Dokumentarfilme) immer noch für den Herbst und das Frühjahr.

Dort, wo die TV-Quoten am höchsten sind. Als ob die audiovisuelle Welt immer noch vom heiligen Marktanteil bestimmt würde, der das Fernsehen seit 50 Jahren begleitet. Das Ergebnis: ein Stau von Filmen, die in drei oder vier Monaten verfügbar sind. Und dazwischen grosse Öde ohne neue Veröffentlichungen.

Diese Logik ist in einer digitalen Welt, die à la carte konsumiert wird, überholt. Es ist nicht mehr der Sender, der dem Publikum Termine vorgibt. Es ist das Publikum, das wählt, wann, was und wie. Daher sollte die Veröffentlichung von Filmen das ganze Jahr über verteilt werden. Eine Veröffentlichung im Juli ist genauso interessant wie eine im September.

Hier gilt es, alte Muster zu durchbrechen.

Die zweite Herausforderung betrifft die Veröffentlichung, auf Play Suisse. VOD überschwemmt uns so sehr, dass wir manchmal mehr Zeit mit der Auswahl eines Films verbringen als mit dem Anschauen selbst. «Wer sich zuviel vornimmt, führt nichts richtig durch.», das ist allgemein bekannt.

Ich glaube, dass wir irgendwann neue Programme „à la carte“ erfinden müssen.

Konkret Empfehlungen auf der Grundlage der verfügbaren Zeit anbieten. Sie haben zwei Stunden, einen Abend, eine Nacht, ein Wochenende? Hier ist eine Idee. Freiheit und Vorschläge. Das ist kein Widerspruch.

Play Suisse, die neue „Idee Suisse“.

Die dritte Herausforderung betrifft schliesslich das Volumen der Nutzung von Play Suisse. Die Anmeldung war der erste Schritt, der mit einer Million Abonnentinnen und Abonnenten gelungen ist. Der Aufbau einer qualitativen Beziehung ist ebenfalls ein Erfolg: Die Nutzer:innen verbringen jeweils pro aktive Sitzung durchschnittlich fast eine ganze Stunde auf Play Suisse. Dann müssen die interregionalen Brücken etabliert werden. Das ist gelungen, denn durchschnittlich 40 % der Konsultationen auf Play Suisse beziehen sich auf Programme aus anderen Regionen.

Nun gilt es, das Volumen und die Häufigkeit der Zugriffe unter den registrierten Nutzenden zu erhöhen. Um das zu erreichen, müssen die Player der regionalen SRG-Einheiten (Play RTS, SRF, RSI, RTR) in Play Suisse integriert werden. Oder natürlich umgekehrt. Diese Vernunftehe wird sowohl die nationale Erfahrung der Filme von Play Suisse als auch die Wirkung der Informationen, des Sports und der Sendungen, die von den regionalen Unternehmenseinheiten gewährleistet werden, einbringen.

Eine grosse nationale Plattform, deren Zugang über die die Sprachen der Nutzenden aufgebaut ist. Eine grosse Service-public-Plattform, auf der alles für alle verfügbar ist. Die digitale Entwicklung in den Diensten des öffentlichen Mandats.

Wir sehen uns in 10 Jahren… auf Play Suisse :-)

 

 

Lesen Sie auch: DES RACINES ET DES RESEAUX, L’archipel médiatique suisse à l’épreuve des crises, de « L’idée suisse » à « Play Suisse », Gilles Marchand & Bernard Crettaz, Ed. Slatkine, 2020

 

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