Public Value, die SRG und das junge Publikum
Die Medien werden heute stark hinterfragt.
Nicht nur in Bezug auf die Geschäftsmodelle, die stark unter Druck geraten sind. Bekanntlich wandert ja die Werbung zu den internationalen digitalen Plattformen ab. Denn sie ködern mit hypothetischen Nutzungszahlen, die man unmöglich messen kann, bieten jedoch unschlagbare Preise. Bekannt ist auch, dass die Gratiskultur den Verkauf von Inhalten sehr erschwert. Offenbar bezahlt man heute lieber für einen Zugang oder eine Verbindung als für einen Inhalt.
Heute werden die Rolle und der Mehrwert der Medien infrage gestellt. Auch ihre Fähigkeit, Vertrauen zu schaffen, steht zur Diskussion. Und genau hier liegt die zentrale Frage. Ohne Vertrauen ist nämlich nichts möglich.
Das Vertrauen hängt jedoch weitgehend von der Qualität der journalistischen und programmatischen Aufbereitung ab.
Wir kennen seit jeher all die Debatten über die Unparteilichkeit der Medien.
Dazu gehört natürlich auch die politische Unparteilichkeit, namentlich in Bezug auf die alte Links-rechts-Spaltung und neue Gräben, etwa zwischen lokal und global oder zwischen Verwurzelung und Globalisierung.
Daneben wird aber auch über die thematische Unparteilichkeit diskutiert. Das Gewicht, das einem bestimmten Thema beigemessen wird, ist nicht belanglos und kann auf die Wahrnehmung eines Mediums abfärben. Ich denke etwa an grosse gesellschaftliche Themen wie die nachhaltige Entwicklung, die Biodiversität, die Genderfrage oder die Inklusion.
Die Medien werden heute in Bezug auf ihren Blickwinkel und somit auf das Vertrauen, das man ihnen entgegenbringen kann, kritisch hinterfragt.
All diese Infragestellung ist äusserst angespannt, denn das soziale Gefüge bricht zunehmend auseinander, zerstäubt sich in unzählige kleine Interessengruppen, die immer unnachgiebiger und vehementer werden.
Auch der Raum für Debatten, der traditionell den Medien vorbehalten ist, droht ihnen zu entgleiten. Die Schlachtfelder verlagern sich auf andere, digitale Gebiete. Insbesondere in den sozialen Netzwerken werden heftige Kämpfe ausgefochten oder öffentliche Prozesse geführt, oft mit verdecktem Gesicht und ohne professionelle Mediation.
Und all diese Fragestellungen, diese Entwicklungen sind bei den Jungen besonders ausgeprägt. Diese Phänomene sind bei ihnen in einer Art Vergrösserungsspiegel zu sehen.
Die neue Medienbühne zwingt somit die etablierten Medien – ich denke dabei insbesondere an die Service-public-Medien – zu einer tiefgreifenden Selbstreflexion, bei der es in erster Linie um ihre Daseinsberechtigung geht.
Für die SRG stützt sie sich auf einen wesentlichen Beitrag zum nationalen Zusammenhalt, auf ein Informationsangebot, das zur freien Meinungsbildung beiträgt, wie sie in einem System der direkten Demokratie unabdingbar ist, und auf hohe Investitionen in den Kulturbereich.
Aber werden diese grundlegenden Aufgaben von den Jungen noch immer mitgetragen? Sind sie ausreichend? Tauchen andere Erwartungen auf?
Um all dies besser zu verstehen, befasst sich die SRG über die Analyse der Einschaltquoten hinaus besonders mit dem jungen Publikum.
Wie es in vielen anderen Bereichen des Service public der Fall ist, muss auch die SRG eine Grundgleichung lösen: (die Öffentlichkeit, das Land) zusammenführen und gleichzeitig die Vielfalt (der Sprachen, Kulturen, Regionen, sozialen Gruppen und des Know-hows) pflegen.
Ihr Public Value liegt zweifellos in der Qualität der Lösung dieser Gleichung.
Gilles Marchand, Juni 2023
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