Gilles Marchand

SRG-Initiative: Nein zum Eigentor

Meinungsartikel erschienen in Le Temps am 23. November 2023, (Originalartikel wurde auf Französisch erfasst)

Fünf Jahre nach der klaren Ablehnung (71,6%) der No Billag-Initiative, die die SRG zerstören wollte, taucht die Schweiz erneut ein in eine Debatte über die Finanzen des öffentlichen Rundfunks. Diese Debatten sind legitim und können auch nützlich sein. Vor allem, wenn sie dazu beitragen, die dem Publikum angebotenen Leistungen weiter zu verbessern.

Um wirklich nützlich zu sein, müssen diese Diskussionen aber auch realistisch sein. Es ist unverantwortlich, zu theoretisieren, ohne die Herausforderungen, die beträchtlich sind, genau zu kennen. Es geht um die Fähigkeit, zu informieren, originale Inhalte zu produzieren, die in unserer kulturellen Vielfalt verankert sind, und nicht zuletzt geht es um das Know-how und die Frage der Arbeitsplätze, die oft sehr spezialisiert sind.

Was stellen wir jedoch derzeit fest? Eine zunehmend prekäre Situation der gesamten Schweizer Medienbranche. Die Werbeeinnahmen schmelzen wie Schnee in der Sonne und wandern auf internationale Streaming-Plattformen ab, die wenig in die Schweiz reinvestieren. Zudem wird es immer schwieriger, Medieninhalte zu monetarisieren. Und schliesslich schüren die sozialen Netzwerke punktuelle und anonyme Wut in Mengen, die nicht mehr zwischen wahr und falsch unterscheiden, während gleichzeitig niemand weiss, wohin uns die Flut der künstlichen Intelligenz noch spülen wird.

In diesem sehr komplizierten Kontext will die Initiative «200 Franken sind genug» die SRG in zwei Teile zerlegen. Ja, es geht tatsächlich darum, die Ressourcen der SRG um die Hälfte zu kürzen. 135 Franken weniger Gebühren entsprechen einer Kürzung um 500 Millionen. Hinzu käme die von der Initiative geforderte Abschaffung der Unternehmensabgabe sowie die Auswirkungen auf die Werbeeinnahmen, die eine Kürzung des Programmes hätte. Insgesamt würden sich die Einbussen auf 760 Millionen belaufen, was 50% des SRG-Budgets von 1540 Millionen entspricht. Welches Unternehmen könnte in einer solchen Situation noch wie bisher seine Leistungen erbringen?

Der Bundesrat hat angekündigt, dass er die Initiative ablehnt: Eine gute Nachricht. Die von ihm vorgeschlagenen Kürzungen sind jedoch schmerzhaft und hätten erhebliche Auswirkungen auf die Programme und das Personal sowie auf die stark dezentralisierte Struktur der SRG. Die Medienabgabe der Privathaushalte senken, eine grössere Anzahl von Unternehmen von der Abgabe befreien, den Teuerungsausgleich streichen – die geplanten Massnahmen belaufen sich auf 170 Millionen. Hinzu kommt der weitere Rückgang der kommerziellen Einnahmen. Schliesslich würde die SRG 240 Millionen verlieren, was den Abbau von 900 Arbeitsplätzen bedeuten würde, aber auch eine Verringerung des Angebotes in den Bereichen Nachrichten, Sport und Kultur zur Folge hätte.

Es ist klar, dass eine massive Schwächung des Service public den privaten Schweizer Medien nicht zugute kommen würde. Die Konkurrenz ist international. Dies umso mehr, als die SRG keine kommerziellen Aktivitäten im «Online»-Bereich hat. Liegt es also im gemeinsamen Interesse, die gesamte Produktion der SRG in einem einzigen, vermutlich deutschsprachigen Studio zu zentralisieren? Ist es wirklich sinnvoll, die Koproduktion von Filmen, die von unserer kulturellen Vielfalt und unseren sozialen Realitäten erzählen, platt zu machen? Ist es positiv, die Produktion von grossen Sportereignissen, die sehr hohe technische Kapazitäten erfordern, nicht mehr in der Schweiz gewährleisten zu können? Ist es tatsächlich angebracht, ein ganzes Gefüge von Produktionsfirmen, Technikern und Künstlern zu zerstören, die jeden Tag mit dem Service public zusammenarbeiten?

Diese wichtigen Fragen offen zu stellen, ist keineswegs vermessen, wie Mathias Muller in der Zeitung Le Temps findet. Es bedeutet im Gegenteil, die wahren Bedingungen der Debatte darzustellen. Es ist leicht, eine Institution zu zerschlagen, aber sehr viel schwieriger, sie wieder aufzubauen, vor allem in einem kleinen mehrsprachigen Land, dessen Regionen eine ganz andere demografische und wirtschaftliche Stärke haben.

Selbstverständlich muss jede Organisation ihre Leistungen und ihre Effizienz regelmässig überprüfen. Dieser Grundsatz gilt auch für die SRG. Wir sind 2018 nach der No Billag-Abstimmung Verpflichtungen eingegangen und haben sie eingehalten, auch auf die Gefahr hin, Enttäuschungen zu provozieren. Wir haben bereits 100 Millionen Franken gekürzt, Mittel in Angebote für ein junges Publikum reinvestiert und unser Engagement in der Koproduktion von Schweizer Filmen ausgebaut. Wir pflegen die Debatte zwischen Bürgerinnen und Bürgern aller Sprachen und Regionen. Wir sorgen zusammen mit anderen für eine Berichterstattung über das politische Leben auf nationaler und regionaler Ebene, die für ihre Ausgewogenheit und Professionalität geschätzt ist.

Ja, ich glaube, dass ein abrupter Abbau des öffentlichen Rundfunks die Fähigkeit des Landes, seine Geschichte zu erzählen, seine Stimme zu erheben und seine Talente auch auf internationaler Ebene zu zeigen, massiv schwächen würde. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Schweiz diese kontraproduktive Initiative nach einer objektiven Abwägung ihrer tatsächlichen Auswirkungen ablehnen wird.

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