Gilles Marchand

Unabhängigkeit(en)

Aktuell wird heftig über die Medien, deren Rolle und Bedeutung für eine funktionierende Gesellschaft und über ein angemessenes Finanzierungsmodell diskutiert. Im Zentrum der Debatte steht die grundlegende Frage nach der Einbindung von Staat und öffentlichen Einrichtungen.

Wenn man davon ausgeht, dass eine lebendige Demokratie eine breite, pluralistische Medienlandschaft braucht, dann muss man sich fragen: Hat der Staat einzugreifen und muss er die Medien fördern, wenn der Markt deren Aktivitäten nicht mehr zu tragen vermag?

Die meisten europäischen Länder kennen Mechanismen, die den Fortbestand des audiovisuellen Service public sichern, entweder mit einer Empfangsgebühr wie in der Schweiz oder mit Direktfinanzierungen über den Staatshaushalt. Einige dieser Modelle sehen einen Werbebeitrag vor, andere nicht.

Jedes Land hat so seit über einem halben Jahrhundert seinen eigenen Weg gestaltet. Und selbstverständlich lassen sich auch gewachsene Traditionen hinterfragen, so wie es bei uns nach der «No Billag»-Initiative geschehen ist.

In der Schweiz erhalten auch private Radio- und Fernsehveranstalter Gebührengelder. Sie sind ebenfalls konzessionspflichtig, was ihnen Rechte einräumt, aber auch Pflichten auferlegt. Sollte man dieses Modell auf andere publizistische Angebote ausdehnen? Etwa auf die Printmedien oder auf Internetplattformen? Um dieses Thema dreht sich die Diskussion am Rande der Vernehmlassung zum Entwurf des neuen Mediengesetzes – und je nach Region fallen die Meinungen dazu sehr unterschiedlich aus.

So scheint der Grundsatz der direkten Presseförderung in der Westschweiz freundlicher aufgenommen zu werden als in der Deutschschweiz. Die Märkte und das Wettbewerbsumfeld funktionieren anders. Im französischsprachigen Kulturraum besteht zudem ein anderes Verhältnis zur öffentlichen Macht. Der Gedanke, dass öffentliche Institutionen das Zusammenleben in einer Gesellschaft aktiv begleiten und regeln, ist in der französischsprachigen Welt meist gut akzeptiert. In der Deutschschweiz wird dagegen eher das Subsidiaritätsprinzip hochgehalten: Jede Aktivität, welche die Privatwirtschaft übernehmen kann, wird umgehend aus dem öffentlichen Raum verbannt.

Redaktionelle oder unternehmerische Unabhängigkeit?

Neben dieser politisch-philosophischen Frage dreht sich die Debatte auch um den zentralen Begriff der Unabhängigkeit. Würde eine staatliche Unterstützung die Unabhängigkeit der privaten Medien ernsthaft gefährden? Beantworten lässt sich diese wichtige Frage nur, wenn klar ist, von welcher Unabhängigkeit wir reden.

Wird die Unabhängigkeit der Redaktionen durch staatliche Hilfe beeinträchtigt? Nein, denn Journalismus-Charta und Berufsstandards schützen die publizistische Unabhängigkeit – und Chefredaktorinnen, Verleger und Verantwortliche von Radio- und Fernsehsendern machen sich für sie stark. Gleiches gilt für das Gesetz, das die Meinungsfreiheit garantiert. Und die Konzessionen, welche die Direktförderung definieren, schreiben gleichzeitig die Anforderungen an Vielfalt und Unparteilichkeit vor.

Der wirtschaftliche Druck ist oft stärker als der politische – und er ist auch schwerer auszuhalten. Viele Printmedien, die weitgehend werbefinanziert sind, kennen dies aus leidvoller Erfahrung. Was eigentlich auf dem Spiel steht, ist die unternehmerische Unabhängigkeit. Wer öffentliche Gelder erhält, muss nachweisen können, wofür er sie einsetzt. Zudem ist er an ein Pflichtenheft gebunden, was ihn in seiner unternehmerischen Freiheit einschränkt.

Genau dagegen kämpfen die grossen privaten Medien. Und deshalb scheint die indirekte, nicht konzessionsgebundene Presseförderung mehr Chancen zu haben. Ermässigte Zustellung von Zeitungen (solange sie überhaupt noch gedruckt werden!), Beiträge an journalistische Ausbildungen und an die Nutzungsforschung – es gibt zahlreiche Möglichkeiten, diesen für die Gesellschaft wichtigen Bereich zu fördern. Nie aber sollte dies auf Kosten der redaktionellen Unabhängigkeit geschehen! Denn dann wären die Medien nicht mehr in der Lage, die Rolle zu erfüllen, die es eben gerade rechtfertigt, gefördert zu werden.

Gilles Marchand
Generaldirektor SRG SSR

 

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