Gilles Marchand

Vertrauen ist eine Speise, die man am besten mit Bedacht geniesst…

Über die quantitativen Leistungen der Medien sind wir alle bestens informiert – eine Tatsache, die auch einige Fragen aufwirft. Wir verfolgen etwa die Entwicklung der «Marktanteile». Doch wie aussagekräftig sind diese Zahlen tatsächlich, da sich der gesamte Markt (sprich alle Nutzungsarten) ja mit einem einzigen Instrument weder erfassen noch messen lässt?

Wir ziehen die «Marktpenetration» heran, um uns abzusichern. Doch wie viele Minuten Nutzung am Stück braucht es, damit «Reichweite» überhaupt als Indikator für die Beziehung Nutzer*in–Medium relevant wird? Eine Minute, 15 Minuten, 30? Pro Woche? Oder pro Tag? Wie lassen sich die Print-Werte mit jenen der audiovisuellen Medien überhaupt vergleichen?

Also versucht man, die durch Suchmaschinenoptimierung generierten «Kontakte» und «Leads» zu zählen. Und SEO ist in der digitalen Welt derzeit ganz hoch im Kurs. Doch um welche Art Kontakte geht es hier? Kontakte zu Menschen oder zu Maschinen? Um echte Kontakte oder doch um künstliche, die für eine echte Bindung der Nutzer*innen ans Medium völlig nutzlos sind?

Neue Indikatoren kommen auf, wie die «Wahrnehmung», die mehrere Messwerte kombiniert. Oder auch die «Legitimationsindikatoren», die auf intelligente Weise klassische Nutzungswerte mit Image verknüpfen (wahrgenommenes öffentliches Interesse oder Messung der individuellen Wichtigkeit).

Dann gibt es die bekannte «TUS». Die Time Use Study, eine Zeitbudgetstudie, zeigt, welche Medien zum Frühstück, beim Pendeln, während der Arbeit, abends im Kreis der Familie oder gar im Schlaf genutzt werden …

Selbstverständlich sind all diese Kennzahlen – jede auf ihre Art – nützlich. Und sie belegen, wie existenziell die Versuche, sich fassbar, messbar und vergleichbar zu machen, für die Medien sind.. Doch (seriöse) medienübergreifende Analysen zu erstellen, ist so gut wie unmöglich. Oder zumindest äussert anspruchsvoll.

Eine wertvolle, rare Zutat, die es zu würdigen gilt, gibt es aber noch. Gemeint ist das Vertrauen, das den einzelnen Medien geschenkt wird. Das Vertrauen – dieser anerkanntermassen rein subjektive Wert – sagt sehr viel über unser höchstpersönliches Verhältnis zu den Medien aus. Schliesslich kann selten, aber in vollem Vertrauen konsumiert werden oder hochdosiert, ohne zum genutzten Medium den geringsten Bezug zu haben.

Vertrauen ist ein zentraler Wert, denn im Vergleich zur Häufigkeit sagt er mehr über die Qualität der Beziehung aus. In einer angebotsgesättigten Welt, in der die verfügbare Mediennutzungszeit von uns allen bis zum Äussersten beansprucht wird, ist das Vertrauen das höchste, das wertvollste Gut. Doch Vertrauen ist wertvoll und fragil zugleich. Ein Medium, eine Marke, eine Zeitung, ein Sender brauchen Jahre, um geduldig ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das im Gegenzug mit einem Schlag, im Handumdrehen vernichtet werden kann. Dieser Vertrauenswert lässt sich bei allen Mediengruppen nachweisen. Und Vertrauen wirkt sich ganz unmittelbar auf das Verhältnis zwischen Nutzer*in und Medium aus. Es spiegelt die ungefilterte Beziehung zwischen Nutzer*in und Medium, weder Interessenvertretung noch Politik interferieren. .

Nun liegt die neuste Ausgabe des jährlichen Berichts zur Medienqualität vor, den das Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich gemeinsam mit dem Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (DCM) der Universität Freiburg und dem Institut für Kommunikation und Marketing (IKM) der Hochschule Luzern herausgibt. Es ist schwere, solide Kost. 2159 Interviews in der Deutschschweiz und der Westschweiz wurden geführt, Tausende Artikel und Sendungen in 49 Medien gesichtet, und das allein in den Monaten Februar und März.

Die Resultate sind hochinteressant und sagen einiges über die vielzitierte Medienlandschaft Schweiz. Unten sehen Sie zwei äusserst aufschlussreiche Tabellen. Den vollständigen Bericht finden Sie hier.

Mit oder ohne Corona bestätigen die diesjährigen Zahlen die Ergebnisse der letzten Ausgaben des Medienqualitätsratings. Sie sehen: Vertrauen ist eine mediale Speise, die man sorgfältig anrichten und mit Bedacht geniessen muss.

Gilles Marchand,
Generaldirektor SRG SSR

 

Vertrauen in Medientitel, Medienqualitäts-Ranking 2020

 

Medienqualitätsrating 2020

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