Desinformation(en)
Beitrag im Rahmen einer Konferenz, die das «Bureau de la Transformation Numérique» (BTN) der Universität Genf am 16. Dezember 2020 zum Thema Desinformation und Demokratie abgehalten hat.
Fake News betreffen die Information. Und diese macht nur einen Teil unseres Service-public-Auftrags aus. Daneben gibt es Film, Musik, Sport, Shows usw. Aber für den Service public, der rund die Hälfte der Gebühreneinnahmen für Information im weiteren Sinne aufwenden muss, ist die Frage nach der Qualität der Information zentral. Qualität schafft Vertrauen, Vertrauen Legitimation – und damit Akzeptanz des Gebührenmodells. Das ist ganz besonders wichtig, wenn es um öffentliche Gelder geht.
Worauf beruht nun das Vertrauen in der Information? Objektivität zu definieren, ist so gut wie unmöglich, wir wissen es … Um die Frage beantworten zu können, scheint es besser zu sein, von der Absicht auszugehen. Welche Absicht bezweckt eine Produktion oder die Verbreitung einer Information?
Hier gilt es, sicherzustellen, dass die Absicht dahinter nicht manipulativ ist. Ob politisch, wirtschaftlich, kulturell oder sonst wie begründet, es gibt weder gute noch schlechte Argumente, die Manipulation rechtfertigen.
Im Gegenteil. Vertrauen setzt die Absicht voraus, zumindest
- die Vielfalt an Meinungen, an Situationen aufzuzeigen (was im multikulturellen Kontext der Schweiz besonders wichtig ist);
- Perspektiven und konstruktive Dimensionen auszuloten.
Es braucht Zeit, dieses Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die Absicht liest sich nicht an einer einzelnen Sendung ab, an einem Interview oder einer Reportage, aber sie wird erkennbar über eine Folge, eine bestimmte Zeitdauer, an einer Thematik. Vertrauensverhältnisse entstehen langsam, können aber in einem Augenblick zerstört werden.
Deshalb ist es für den Service public wichtig, Mittel und Wege vorzusehen, um sich und die eigenen Absichten erklären zu können.
Zudem ist der Begriff «Fake News» komplexer, als es den Anschein macht. Es ist ein Konstrukt, ein Pfeiler, der ein subtiles Gebälk stützt. Drei grosse Kategorien lassen sich auf Anhieb erkennen:
- Produzierte Falschinformationen
- Weiterverbreitete Falschinformationen
- Halbwahrheiten («arrangierte» Informationen)
Zur ersten Kategorie, den produzierten Falschinformationen
Auch hier lassen sich Unterkategorien erkennen. Es gibt vorsätzlich produzierte Falschmeldungen. Dabei können politische oder wirtschaftliche Zwecke eine Rolle spielen, persönlicher Ruhm, Machtverhältnisse in einem bestimmten Kontext oder schlicht Bosheit und die Lust am Chaos, das eine Falschinformation auslöst … Und es gibt Falschmeldungen, die aus Versehen produziert werden, nach bestem Wissen und Gewissen. Ein falsches Ergebnis, ein falsch verstandenes Zitat … es gibt etliche Beispiele hierfür.
Dann gibt es die grosse Kategorie der weiterverbreiteten Falschinformationen.
Auch hier sind zahlreiche Konstellationen denkbar.
Die Liste führt aber sicher die Hast an, das vorschnelle Handeln, der Übereifer. Das ist die Falle Nummer eins, sehr verbreitet bei Medien, die von Quoten abhängen. In dieser Kategorie fällt auch das blinde Vertrauen in Agenturnachrichten.
Dann ist da der grosse Klassiker: fehlende Mittel für den Faktencheck. Die internationalen Informationen der Sonderbeauftragten, Wirtschaftsnews, für die man die Dossiers und die Unternehmen langfristig verfolgen muss, Informationen aus der Wissenschaft, für die es vertiefte Kenntnisse braucht. All das kostet und die Medien haben immer weniger Geld.
Dann gibt es die Mainstream-Weitergabe, die Weitergabe aus Bequemlichkeit. Man gibt einen Eindruck weiter, ein Gefühl, weil die meisten der Kolleginnen und Kollegen ähnlich denken. Dahinter steckt die Angst, mit seiner Meinung allein zu stehen. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Information, ist hier das Klima ausschlaggebend.
Dann gibt es die falsche Information, die in einer Debatte, in einem Interview geäussert wird und die nicht rechtzeitig entlarvt und korrigiert wird (oder die unwidersprochen stehen bleibt) und die blitzartig weiterverbreitet wird. Sie wird aufgegriffen, der Autor wird zitiert oder das Medium, das das Zitat gebracht hat, ohne zu hinterfragen, ob es stimmt.
Und dann gibt es noch die Halbwahrheiten.
Nicht wirklich wahr, nicht wirklich falsch, gehören die Halbwahrheiten ins Reich der Auslassungen. Die verbreitete Information ist nicht falsch, aber sie ist nicht vollständig. Oder – ein weiterer Klassiker – ihr fehlen Elemente zum Kontext, die sie sinnvoll einbetten.
Aber es wäre zu einfach, sich mit diesen Kategorien von Falschmeldungen zu begnügen. Denn ihr Gewicht, ihr Status, hängt auch stark vom Sender ab.
Haben wir es mit einem klassischen Nachrichtenverbreiter zu tun, der eine Redaktion betreibt, oder stammen die Informationen aus einem sozialen Netzwerk?
Im zweiten Fall taugt das Konzept der Fake News schlecht, denn Social Media behaupten nicht, Informationen zu vermitteln. Sie verbreiten Gefühle, Emotionen, Überzeugungen und Empfehlungen. Ist das Information? Hier sind Zweifel angebracht. Wie lässt sich sagen, ob ein Gefühl richtig oder falsch ist?
Die Frage ist drängender denn je, gibt doch ein Grossteil der Jungen an, sich in den sozialen Netzwerken zu informieren.
Das ist ein breites Debattierfeld, in dem die Frage nach dem Wahrheitsgehalt nicht die einzige offene Frage ist.
Gilles Marchand,
Generaldirektor SRG SSR
Schreibe einen Kommentar