Medien: auf Kurs bleiben und eine Basis für die Zukunft legen
Der Genfer Gemeinderat Olivier Gurtner äussert sich in Le Temps dahingehend, dass die Medienkapitäne «blind» seien, «in die Irre» führten und, kurz gesagt, «richtungslos» umhertrieben.
Es stimmt sicherlich, dass ihnen stürmisches Wetter bevorsteht und dass dieser ungeheure Sturm Mannschaften, Steuerleute und Schiffe massiv fordern wird. Die Printmedien ebenso wie die audiovisuellen Medien, private Anbieter und der Service public – sie alle müssen diesen Sturm meistern. Die digitale Revolution kennt keine Differenzierung.
Und so fragt sich Olivier Gurtner, weshalb ausgerechnet bei der SRG Sparmassnahmen durchgedrückt werden sollen, obwohl sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 4. März massiv hinter den Service public gestellt und die «No Billag»-Initiative mit über 70 Prozent der Stimmen abgelehnt haben. Nun ja, um im Bild zu bleiben: Es muss gespart werden, weil wir den Service public nicht auf hoher See umhertreiben lassen können!
Im November 2017 hat der Bundesrat beschlossen, die Gebühren um fast 20 Prozent zu senken und die Mittel der SRG nach oben zu begrenzen. Gleichzeitig verlagern sich die Werbeeinnahmen auf digitale Plattformen, welche die SRG nicht vermarkten kann. Zudem wird das Pflichtenheft des Service public immer dicker, etwa durch die Verpflichtung, Sendungen generell mit Untertiteln für Gehörlose und Hörgeschädigte zu versehen.
Die Schlussrechnung zulasten der SRG beläuft sich auf 80 Millionen Franken pro Jahr, bestenfalls. Somit wird klar, dass gehandelt werden muss – was die Schweizerinnen und Schweizer im Übrigen auch erwarten, wie die Analyse der Abstimmungsgründe bei der «No Billag»-Initiative gezeigt hat.
Selbstverständlich müssen wir alles tun, um den bewährten Service public beizubehalten, alle Landesteile zu bedienen und sowohl das junge als auch ein traditionelleres Publikum anzusprechen. Es geht um einen Service public, der unabhängige Nachrichten bietet, der in die Kultur, den Film und die Musik der Schweiz investiert und freien Zugang zu Sportsendungen sicherstellt. Dieses Mediensystem muss erhalten bleiben. Es liegt den Schweizerinnen und Schweizern am Herzen, da es im grossen globalen digitalen Meer ihr Land mit all seinen Eigenheiten widerspiegelt.
Erhalten bedeutet aber auch, Reformen anzugehen, um die Zukunft dieses Service public zu sichern. Diese Reformen haben zwei Dimensionen.
Einerseits ist die Infrastruktur (Technik, Liegenschaften, Verwaltung) so schlank wie möglich zu halten, damit für das vom Publikum geschätzte Programmangebot möglichst viele Mittel zur Verfügung stehen. Eine komplexe Aufgabe, da die dezentrale, landesweite Präsenz der SRG allgemein eine Herzensangelegenheit ist, wie die hoch emotionalen Standortdiskussionen belegen.
«… Wir müssen uns dringend auf die zweite Welle vorbereiten. Hierbei geht es um das Radio …»
Die zweite, noch grössere Aufgabe besteht darin, den Service public in der neuen digitalen Welt zukunftsfähig aufzustellen. Wir müssen uns dringend auf die zweite grosse Welle vorbereiten. Hierbei geht es um das Radio. Vor 15 Jahren standen wir vor der Aufgabe, für die Fragmentierung des visuellen Angebots im Web vorauszuplanen. Daher hat TSR seit Beginn des Jahrtausends ihre Sendungen ins Internet gestellt. Im Anschluss konvergierten die Medien Radio und Fernsehen in gemeinsamen digitalen Angeboten. Nun stehen die «Smart Speakers» am Horizont. Diese Technologien beruhen grundsätzlich auf Sprachbefehlen, die durch künstliche Intelligenz unterstützt werden; es geht demnach um eine Verschiebung vom Taktilen (Smartphones) hin zum Verbalen. Diese neuen Technologien bieten unbegrenzten Zugang zu Inhalten aller Art, sodass sich die Frage stellt, welche Inhalte eigentlich auf diesem Weg angeboten werden sollen. Für die Inhalte des Service public ist dieser Kanal ein Muss – in Ergänzung zu personalisierten Plattformen, auf denen jede und jeder die passenden Angebote mit Untertiteln in allen Landessprachen findet, und welche nebenbei das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken.
Auf diese Zukunft müssen wir uns heute vorbereiten, wir müssen unsere Prozesse und Berufe überdenken, nicht anders als vor 15 Jahren beim Video. Konstante Arbeit an unserem Angebot und unseren Strukturen, Anpassung an die Unsicherheiten einer digitalen Gesellschaft in konstantem Wandel, ohne dabei unsere Werte aufzugeben – das ist die Kursvorgabe für unsere Steuerleute!
Gilles Marchand
Generaldirektor SRG SSR
Erschienen in Le Temps, 4. September 2018
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