Gilles Marchand

Populismus und Medien

Alle Medien – ob privat oder öffentlich, gedruckt oder audiovisuell, breit ausgerichtet oder fachspezifisch – alle Medien kämpfen heute mit drei grossen Herausforderungen, die eigentlich eine komplette Veränderung bedeuten.

Die erste Herausforderung ist die Digitalisierung

Sie betrifft zuerst das Publikum, und seine Erwartungen. Digitalisierung ermöglicht Interaktion und Partizipation. Inhalte können produziert und kommentiert werden. Das gilt ganz besonders für die sozialen Netzwerke. Mit allen Vor- und Nachteilen! Das hat auch Konsequenzen für das Vertrauen in die Medien. Und wir wissen: Um das Vertrauen in die Medien ist es derzeit nicht so gut bestellt …
Die Digitalisierung beeinflusst auch das Generieren von Inhalten.

Mit der sogenannten «Big Data» erhalten wir intelligente Daten. Deshalb können wir unser Publikum besser verstehen. Wir wissen heute noch genauer, was die Nutzer lesen, hören und sehen wollen. Es gibt aber auch Risiken. Empfehlungen, generiert durch Daten, schränken die Lust ein, Neues zu entdecken. Es besteht die Gefahr, das Publikum in enge, hermetisch geschlossene Blasen einzusperren.

Digitalisierung heisst auch radikaler Wandel bei den Produktionsmethoden, wie der Wechsel von Rundfunk zu IT oder auch der Rückgang der Druckereibetriebe.

Auf den ersten Blick scheint der Wandel positiv: Die Produktionsmittel sind heute moderner, flexibler, und scheinen sogar günstiger zu sein. Aber die Amortisationsdauer ist viel kürzer. Deshalb sind die Produktionskosten immer noch relativ hoch. Das gilt vor allem für kleine Länder wie die Schweiz, wo Investitionen nicht über eine grosse Anzahl Nutzer amortisiert werden können.

Die zweite grosse Herausforderung sind die Finanzen.

Alle Geschäftsmodelle der Medien werden hinterfragt. Digitale Kultur hat den Anschein von Gratiskultur. Wir müssen immer mehr und immer besser produzieren – mit immer weniger Mitteln. Die Märkte sind nicht mehr national, sondern grenzenlos. Das gilt insbesondere für die Medienbranche. Skaleneffekte sind für kleine Länder ein riesiges Problem. Vor allem für die mehrsprachige Schweiz. In einem weltweiten Markt besteht die Gefahr, dass die Schweiz ihren besonderen Charakter verliert.

Werbung war lange ein stabiler Ertrag für die Schweizer Medienbranche. Durch die Digitalisierung hat sie an Wert verloren. Offen gesagt: Digitale Werbekampagnen werden nie die gleichen Erträge erzielen wie klassische Medienpläne, zum Beispiel Inserate in der NZZ oder TV-Spots bei der SRG.
Das verkompliziert die Koexistenz verschiedener Medien in unserer «kleinen» Schweiz sehr.
Die Beziehungen sind angespannt und verhärtet. Es wird nicht länger nach einem Konsens gesucht: Jeder kämpft ums Überleben.

Die dritte Herausforderung ist politischer Natur.

Wie soll die Koexistenz der Medien organisiert werden? Welche Rahmenbedingungen schaffen, damit es für alle stimmt? Wie kann man verhindern, dass es den einen nur auf Kosten der anderen gut geht? Fragen, die auch für das gute Funktionieren unserer Gesellschaften entscheidend sind. Denn Demokratie, Wirtschaft und kulturelle Produktion brauchen autonome und professionelle Medien. Das Thema ist zentral, weil wir in vielen Ländern radikale, ja sogar extreme politische Haltungen beobachten. Dieser Trend wird gefördert von effektiven populistischen Strategien.

Sofort fallen einem typische Hardliner ein, wie zum Bespiel Trump, Putin, Erdogan, auch Orbán und Kaczyński oder – weiter weg – Duterte. Populismus entwickelt sich ausserhalb und innerhalb Europas. Hinzu kommt religiöser, oft blutiger Fundamentalismus.

Wenn ich hier von Populismus rede, meine ich weniger ein strukturiertes politisches Konzept, sondern vielmehr eine Methode der Machtergreifung.

Die politischen Inhalte der Populisten sind oft sehr unterschiedlich. Sie bedienen sich beim gesamten politischen Spektrum, von ganz links bis ganz rechts. Hingegen sind die Haltungen, die Techniken und die Strategien, die für die Mobilisierung und die Kommunikation genutzt werden, immer vergleichbar.

Die Populisten schaffen gerne einen künstlichen Graben zwischen dem «Guten Volk» und der «Bösen Elite». In dieser eher schizophrenen Sicht der Gesellschaft werden die Medien, ob öffentlich oder privat, oft in die Ecke der Bösen gestellt. Sie sind ein beliebtes Ziel der Populisten. Die Rede ist von «Lügenpresse» und «Fake-News-Medien». Die Journalisten werden angegriffen, zum Beispiel bei Events oder in den sozialen Netzwerken.

Leider tragen die Medien auch eine Mitschuld. Das muss offen gesagt werden, auch sie spiegeln manchmal den Populismus wieder, wie ein Echo. Zu diesem Thema vier Beispiele:

1. Der Kult des Konflikts

Populismus lebt von Krisen, von Feindschaften. Populisten deklarieren jemanden zum Sündenbock und schüren den Hass gegen ihn. So lehnt sich das «Volk» immer wieder gegen die «Eliten» auf.
Ähnlich ist der Appetit der Medien auf starke Gegensätze, auf Konflikte, auf Clashs. Duelle mit theatralischem Potenzial sind beliebter als Hintergrunddebatten. Natürlich ist das Ringen um Quoten mitverantwortlich für dieses Phänomen. Hysterische Ausbrüche in den sozialen Netzwerken fördern dieses konfliktreiche Klima zusätzlich.

2. In der populistischen Methodik sind Konfliktkultur und Führerkultur miteinander verbunden.

Populisten brauchen charismatische Anführer. Auch die Medien mögen «Stars», «VIPs» und «Provokateure» jeder Art. Es überrascht nicht, dass diese sogenannten «guten Kunden» die Seiten der Zeitungen und die Sendezeit im Radio und Fernsehen füllen. Der blaue Tailleur von Brigitte Macron hat medial mehr Raum eingenommen als die Rede ihres Mannes bei dessen Inauguration in Paris …

3. Populismus lebt von der Angst, insbesondere der Angst vor den anderen.

Es geht nicht darum, Probleme zu lösen, sondern sie zu simplifizieren. Das anderssein wird prinzipiell abgelehnt – und auch das System und die Institutionen, die Menschen vereinen. Leider wird auch in Medienprodukten vereinfacht und auf komplexe Darstellungen verzichtet. Warum? Es soll ein möglichst breites Publikum angesprochen werden. Vereinfachungen führen zu gefährlichem Schubladendenken. Schwarz oder weiss, richtig oder falsch, was im Übrigen der binären digitalen Logik entspricht. Dabei wissen wir doch ganz genau: Demokratie funktioniert in verschiedenen Grau-Nuancen.

4. Populistische Bewegungen lieben pompöse Auftritte, bunte Podeste, grosse Erklärungen.

Politische Spektakel sind minuziös durchorganisiert. Ähnlich wie grosse TV-Shows. Das geht so weit, dass sich heute politische Bewegungen und Fernsehsender um dieselben Regisseure reissen! Während Wahlkämpfen kommt es nicht selten vor, dass Kampagnen Leader versuchen, den Medien ihre Bilder und Darstellungen aufzuzwingen.

Meiner Meinung nach schafft das Zusammenspiel dieser verschiedenen Phänomene ein Umfeld, das problematisch ist.

Für die Medien insgesamt gibt es zwei Hauptaufgaben.

Zum einen müssen sie populistischen Simplifizierungen widerstehen. Wie? Mit der Suche nach der Wahrheit, der Qualität der Information, der Abbildung der Welt in ihrer ganzen Komplexität. Ohne, dass unterwegs das Publikum verloren geht.

Zum anderen müssen sie zwischen populär und populistisch unterscheiden können. Sie sollen die breite Öffentlichkeit erreichen, das ist sehr richtig. Aber sie dürfen nicht vergessen, dass das Ziel nicht jedes Mittel heiligt.

Neben diesen Herausforderungen muss man sich auch die Frage nach der Verantwortung stellen. Die Verantwortung von Menschen in Führungsrollen in Politik und Medien. Unsere gemeinsame Verantwortung liegt darin, zu vereinen, zu integrieren und nicht auszugrenzen. Trotz aller Schwierigkeiten besteht der Sinn unserer Arbeit darin, einen Nutzen zu schaffen, politisch, wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns verstehen, miteinander klarkommen, müssen Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten Medienakteuren eingehen. Das gilt vor allem für ein kleines Land wie die Schweiz, mit mehreren Kulturen und mehreren Sprachen. Aber Der Erfolg oder das Überleben der einen bedingt nicht die Schwächung oder das Verschwinden der anderen.

Die Geschichte der Schweiz ist eine Geschichte der Integration, der Partnerschaften und des Konsenses. An dieser Kultur müssen wir festhalten und sie pflegen, auch in einer digitalen, globalen Gesellschaft, die oft von populistischen Einflüssen gestört wird.

Es geht nicht nur um unser eigenes Interesse als politische und mediale Akteure. Es geht auch um das Weiterbestehen des Modells, nach dem wir leben. Es geht um eine «idée de la Suisse», um eine bestimmte Vorstellung von unserem Land.  Sie ist und bleibt wichtig für unsere Zukunft.

Discours prononcé lors du Symposium libéral, le 1er juillet à Zurich

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