Gilles Marchand

Medien und Demokratie – eine dauerhafte, aber turbulente Beziehung!

Keynote vom 4. Oktober 2022 im Rahmen der Themenwoche «Construire la démocratie», die vom Centre en Philanthropie der Universität Genf, von Swiss Foundations, dem Geneva Graduate Institute und dem Albert Hirschman Centre on Democracy organisiert wurde

Heute geht es um zwei eng miteinander verwobene und augenscheinlich sehr wichtige Themen: Den Zustand der demokratischen Gesellschaft und die Konstitution der Medien … die ihrerseits zu einer gesunden Demokratie beitragen!

Die Medienfinanzierung ist ein Thema, das für die privaten Medien immer komplizierter wird und auch im Bereich der öffentlichen Medien zunehmend für Diskussionen sorgt. Die Finanzierung der Medien sichert deren Stabilität. Und Stabilität ist die Grundvoraussetzung für Professionalität und Qualität.

Ich weiss, Qualität ist nahezu undefinierbar. Qualitätskriterien sind so zahlreich wie diejenigen, die sie für sich in Anspruch nehmen. Zumindest eines aber steht fest: Ohne eine einigermassen stabile Finanzierung sind die Erzeugnisse der Medien zweifelsohne nur mittelmässig. Wenn es an finanziellen Mitteln, Zeit, Journalistinnen und Journalisten, guten Ausbildungen sowie Überprüfung mangelt, geht es über kurz oder lang unausweichlich bergab. Schaumschlägerei und Medienlärm setzen sich fest.

Eine stabile Medienfinanzierung ist aber nicht nur Voraussetzung für zuverlässige Information. Wir machen in der Schweiz oft den Fehler, die Mediendebatte auf die journalistischen Produktionen, auf die Information zu reduzieren. Eine stabile Finanzierung ermöglicht auch die Produktion von eigenen Inhalten, eine Produktion also, die bei den Bevölkerungsgruppen, für die sie bestimmt sind, verankert ist. Ich denke hier an Dokumentarfilme, fiktionale Inhalte und Aufzeichnungen von Kunst-, Sport- und Musikveranstaltungen.

Dieser riesige Medienbereich trägt ausserordentlich viel zu einer gemeinsamen Identität bei und schafft gemeinschaftliche Schicksale. Besonders wichtig ist dies in multikulturellen, mehrsprachigen Ländern wie der Schweiz.

Die Finanzierung der Medien erfolgt aus zwei Hauptquellen.

  • Die erste Quelle bilden kommerzielle Einnahmen aus dem Verkauf von Inhalten jeglicher Form und Einnahmen aus Werbung, ebenfalls jeder erdenklichen Form. Man muss den privaten Medien zugutehalten, dass sie in diesem Bereich ausserordentlich kreativ sind. Das geht soweit, dass es nicht immer möglich ist, die Herkunft der kommerziellen Einnahmen zu ermitteln.Die zweite wichtige Finanzierungsquelle ist die öffentliche Hand. Dabei handelt es sich entweder um Empfangsgebühren oder eine direkte Finanzierung aus dem Staatshaushalt. Diese öffentliche Finanzierung ermöglicht das Bestehen des Service public.
  • Die Empfangsgebühren, das wissen wir in der Schweiz bestens, sind nicht sehr beliebt. Denn alle sind verpflichtet, sie zu bezahlen, unabhängig von der tatsächlichen Nutzung der Programme. Die Empfangsgebühren sind ein ziemlich komplexes Konstrukt, das die Finanzierung eines im Hinblick auf Genres und Sprachregionen solidarisch aufgebauten Systems sichert. Es ist ähnlich wie mit den Strassen, die wir nicht ständig befahren, den Schulen, die wir auch dann noch mitfinanzieren, wenn die eigenen Kinder schon gross sind, oder den Spitälern, in denen wir glücklicherweise nicht ständig behandelt werden.Das allgemeine Gebührenmodell ist eine Herausforderung und erfordert in einer direkten Demokratie, in der es regelmässig infrage gestellt werden kann, eine gewisse Reife der Bürgerinnen und Bürger. Diese Reife hat die Schweizer Bevölkerung 2018 bewiesen, als sie mit über 70 Prozent der Stimmen eine Volksinitiative zur Abschaffung der Empfangsgebühren ablehnte. Die direkte Finanzierung aus dem Staatshaushalt ist zwar einfacher, es stellt sich aber die Frage nach der Unabhängigkeit von allfälligem politischem Druck. Zwar sind die Gebühren kein absoluter Schutz, aber die direkte Finanzierung erhöht das Risiko erheblich. Der Staatshaushalt wird jährlich vom Parlament verabschiedet. Dabei muss nicht betont werden, dass die Versuchung für politische Parteien gross ist, die Annahme des Budgets von der journalistischen Berichterstattung abhängig zu machen. Nicht zu vergessen ist bei diesem Modell auch das Risiko der Antizipation, der bewussten oder unbewussten Selbstzensur der Redaktionen.

Was diese Thematik besonders interessant und hochaktuell macht, ist die Tatsache, dass heute beide Finanzierungsquellen, die kommerzielle und die öffentliche, unter Druck stehen.

Aus diesem Grund werden zunehmend neue Ideen in die Debatte einbezogen. Insbesondere die Philanthropie und das Mäzenatentum.

***

Bevor wir auf diese neuen Finanzierungsquellen eingehen, müssen wir uns einen soziologischen Überblick verschaffen. Denn die Medien sind letztlich nur Ausdruck der Gesellschaft, in der sie verankert sind.
Zwischen zwei Krisen – Gesundheits-, Klima-, Energie- und Sozialkrisen, entwickelt sich unsere Gesellschaft um einige grosse Bewegungen herum:
Unsere Gesellschaften globalisieren sich, digitalisieren sich, werden komplexer und gleichzeitig fragiler.

Die Globalisierung ist leider nicht ganz das, was man sich im Zeitalter der Aufklärung erträumte. Denn neben grösserem Wissen bringt sie auch zahlreiche soziale, politische, kulturelle und klimatische Probleme mit sich.
Die Digitalisierung ist unaufhaltsam, das wissen wir. Sie ermöglicht grosse Fortschritte in vielen Bereichen.
Aber sie geht auch mit unzähligen Herausforderungen einher, insbesondere dem Schutz der Privatsphäre, der sozialen Ausgrenzung und der Kontrolle. Dazu kommt die geistige Fragmentierung der Menschen, die von ihren mobilen Bildschirmen abhängig sind.
Komplexität ist die Interdependenz von Handlungen. Heutzutage wirkt alles auf alles ein. Das geht so weit, dass es schwierig wird, das grosse Ganze zu erfassen und zu verstehen.
Dies hat zur Folge, dass die grossen sozio-politischen Fragen heute nur noch anhand von persönlichen Empfindungen oder sektoralen Faktoren beurteilt werden.
Eine systemische Analyse erscheint unter diesen Umständen schnell entmutigend, zu kompliziert und fast unzugänglich.
Wie wir wissen, reicht aber die Summe von Partikularinteressen nicht aus, um einen gemeinsamen Sinn zu schaffen.
Das ist auch der Kern der Herausforderungen der Konstruktion Europas.
Die Fragilität ist eine Folge der drei eben genannten Trends.
Sie entsteht aus dem allgemeinen kurzfristigen Denken.
Und sie ergibt sich aus den grossen soziodemografischen Entwicklungen, die bereits jetzt und in Zukunft immer mehr grosse wirtschaftliche Probleme aufwerfen. Die Herausforderungen bei der Finanzierung der Renten und des Gesundheitswesens sind gute Beispiele für dieses Phänomen.
Zu diesen Unsicherheiten kommen ausserdem verschiedene soziokulturelle Entwicklungen hinzu, wie die Entwicklung der Teilzeitarbeit und die neue Balance zwischen Berufs- und Privatleben, die den Wert «Arbeit» als Sockel der Industriegesellschaft verändern.

Globalisierung, Digitalisierung, Komplexität und Fragilität sind also eng miteinander verwoben.

Diese grossen gesellschaftlichen Trends lassen sich fast eins zu eins auf die Medien übertragen.

Die Globalisierung führt uns beispielsweise zu den internationalen Streaming-Plattformen und ihre Weltkultur, für die Giganten der technologischen Unterhaltung und für neue Player wie Telekomanbieter (Sunrise und Swisscom in der Schweiz), die im Sportbereich den Rechtemarkt explodieren lassen.
Die Digitalisierung ist in der Medienwelt allgegenwärtig. Sie bringt uns das allmähliche Ende des linearen Konsums von Programmen zugunsten der individuellen, personalisierten und mobilen Nutzung von Inhalten.
Die Digitalisierung leitet auch das allmähliche Ende des Papiers ein, der physischen Beziehung zum Medienprodukt.
Und schliesslich entfacht sie einen Konflikt zwischen gedruckten und audiovisuellen Medien, die sich nach Jahrzehnten der eher friedlichen Koexistenz, in denen alle zufrieden ihr eigenes kleines, gut eingezäuntes Gärtchen bewirtschafteten, auf demselben Feld wiederfinden, nämlich online.
Komplexität scheint für die Medien die neue Regel zu sein. Neben neuen Konkurrenzsituationen, veränderten Nutzungsverhalten, politischen und kommerziellen Herausforderungen müssen wir uns auch noch mit der totalen Interdependenz zwischen redaktioneller Gestaltung, technischer Produktion und Multi-Vektor-Distribution auseinandersetzen.
In der medialen Wertschöpfungskette ist es nicht mehr möglich, zwischen Gestaltung, Produktion und Distribution zu unterscheiden.
Die Fragilität schliesslich betrifft alle Medien. Die Geschäftsmodelle der Medien sind instabil. Die kommerzielle Werbung wandert auf internationale digitale Plattformen ab, die nicht oder nur sehr geringfügig in lokale Märkte reinvestieren.
Die Gratiskultur, die – daran soll hier erinnert sein –, von den Gratiszeitungen selbst hervorgebracht wurde, entwickelt sich im digitalen Raum rasant.
Zudem wird die Finanzierung durch die öffentliche Hand in ganz Europa auf die eine oder andere Weise infrage gestellt.
Diese Unsicherheit wird noch dadurch verschärft, dass die traditionellen Medien leicht umgangen und ausgehebelt werden können. Und zwar durch die sozialen Medien und durch die Marken, die selbst zu einer Art Medium werden.

So werden wir in einen ziemlich gefährlichen Strudel hineingezogen.

Die breitere Zerstreuung des Publikums, das durch die Digitalisierung fragmentiert wird, führt auch zu einer breiteren Zerstreuung der Nutzungszahlen, was wiederum eine breitere Zerstreuung der Werbung nach sich zieht.
Dennoch hat die Werbung gerade in der Schweiz eine wichtige Rolle gespielt bei der Entwicklung eines vielfältigen und mehrsprachigen Medienangebots. 
Das muss man dem Werbemarkt hoch anrechnen.
Denn in der Schweiz ist die kritische Masse, das heisst, die Anzahl Leser:innen, Hörer:innen oder Zuschauer:innen, nicht genügend gross, um die Finanzierung der Produktion von Inhalten sicherzustellen.
Hinzu kommt, dass wir in der neuen digitalen Gesellschaft lieber für den Zugang, die Verbindung, als für den Inhalt selbst bezahlen.
Die Trennung zwischen Distribution und Inhalt ist ein echter Paradigmenwechsel.

Dies ruft bei den Medienkonzernen zwei Reaktionen hervor.

Die erste ist das aktive Bemühen um eine Diversifizierung der eigenen Tätigkeit. So haben diverse Medienkonzerne erfolgreich in Plattformen für Online-Dienste und in Verkaufsplattformen investiert.
Aber es stellt sich natürlich die Frage, ob die erwirtschafteten Gewinne in die journalistische und programmatische Produktion reinvestiert werden. Und hier ist festzustellen, dass diese Reinvestitionen nicht automatisch erfolgen …

Die zweite Reaktion ist das verzweifelte Ringen um Aufmerksamkeit. In der Medienbranche entwickelt sich eine neue Ökonomie der Aufmerksamkeit.
Man muss laut sein, Interesse wecken, die Aufmerksamkeit für einige Sekunden halten. Bisweilen auf Kosten der Relevanz der Informationen. Und auf die Gefahr hin, Trash und Clash immer weiter zu fördern.
Das führt dazu, dass die Glaubwürdigkeit und damit auch die Legitimität der Medien schwinden.

Die Falle ist perfekt!

Wir befinden uns in einem Theater mit sorgfältig ausgearbeitetem Bühnenbild. Gespielt wird ein Stück über die unglaubliche technologische Revolution, welche die Medien derzeit erleben.

Digitalisierung und Globalisierung bringen Immaterialität mit sich. Produkte und Arbeitsmittel sind immer weniger greifbar.
Und die Digitalisierung führt auch dazu, dass das Datensammeln immer wichtiger wird.
Heutzutage muss man sich nämlich überall registrieren und einloggen, um Zugriff zu erhalten, um kommentieren zu können oder um sich Inhalte empfehlen zu lassen. Das soll uns in einer Welt, die mit Medienangeboten aller Art völlig übersättigt ist, das Leben erleichtern.
Wenn wir uns registrieren oder einloggen, hinterlassen wir jedoch mehr oder weniger ausführliche Daten, die zu einem umso wertvolleren Gut werden, je mehr die klassischen Werbeeinnahmen zurückgehen.
Denn diese Daten bilden die Grundlage für das Direktmarketing.
Sie werden also verkauft, weiterverkauft, ausgetauscht, zusammengeführt und gesichert.
Das wirft sehr spezifische ethische und rechtliche Fragen auf. Zudem sind die Vorschriften von Land zu Land unterschiedlich, während die Daten selbst die Grenzen völlig unbeeindruckt überwinden.

Und schliesslich ist die Grenze zwischen Empfehlung und kommerzieller oder politischer Manipulation bekanntlich unscharf.

Womit wir wieder ganz bei unserer Troika «Medien – Finanzierung – Demokratie» wären!

Der Übergang von der Nachrichtenberichterstattung zu einem reinen Echo, das Risiko eines tatsächlichen oder vermeintlichen Wertverlusts bewirkt, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Medien schrumpft.
In dieser Dynamik wird der Beitrag der Medien zur Demokratie infrage gestellt.
Dies führt dazu, dass die Bereitschaft, für Inhalte zu bezahlen und damit auch die Akzeptanz für die Empfangsgebühren schwinden.

Die grossen Bewegungen wirken sich auch auf die demokratische Gesellschaft und die Art und Weise des Zusammenlebens aus.
Die Globalisierung ruft ein ungutes Gefühl von Ohnmacht hervor, da die Entscheidungshoheit sowohl auf persönlicher als auch auf kollektiver Ebene zunehmend zu einer Art Mitbestimmung auf der Ebene globaler, nicht greifbarer und scheinbar unerreichbarer Strukturen eingebettet ist.
Die Digitalisierung und die Heranbildung der heutigen «à la carte»-Gesellschaft bergen das Risiko, dass durch ausufernden geistigen Pointillismus und gesellschaftliche Fragmentierung das Unwissen überhandnimmt.
Komplexität führt zu Verwirrung, Entscheidungsunfähigkeit und daraus resultierender Frustration.
Und die Fragilität verursacht einen Stillstand. Wie unsere Urgrossmütter zu sagen pflegten: «Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.»

In unserem Fall ergibt sich daraus eine Atomisierung der Mediengesellschaft mit dem Risiko, dass Orientierungspunkte und das allgemeine Interesse verloren gehen.
Gleichzeitig sind auf Seiten des Publikums ein wachsendes Unverständnis für die Welt, Zukunftsangst, die Suche nach vereinfachten Antworten und schliesslich eine ausgeprägte Intoleranz gegenüber Ungewissheit, Zweifeln und Optionen.

Um das Ausmass des Phänomens zu erfassen, muss man nur die Kommentare und Posts auf den sozialen Medien überfliegen.

Drei Fieberschübe sorgen für heisse Köpfe:

  1. Erstens das Aufkommen der «Egokratie», ein Konzept, das ich hier vom Politologen François Chérix übernehme und das einen deutlichen und gefährlichen Kontrapunkt zur Demokratie darstellt. Aus diesem Blickwinkel sind meine Meinung, meine Gefühle und mein Empfinden die Wahrheit. Und die Institutionen stehen mir persönlich zu Diensten, sonst haben sie keine Daseinsberechtigung.
  2. Zweitens das Aufkommen neuer Kommunitarismen. Diese können virtuellen Ursprungs sein, wie zum Beispiel meine Follower oder die Mitglieder meines Netzwerks, die alle zu Cousins, Schwestern und Brüdern werden. Sie können aber auch religiöser oder nationalistischer Natur sein.
  3. Drittens das Aufkommen des Populismus mit der Opposition des Volkes, homogen, unschuldig dargestellt und Opfer unterdrückerischer Eliten, die nie wirklich definiert werden, aber niedergerungen werden müssen.

Diese Feststellungen sind zugegebenermassen nicht sehr erfreulich!
Umso mehr, wenn man bedenkt, dass das allgemeine, gemeinsame Interesse das Ziel jeder demokratischen Gesellschaft ist. Leider kann man nicht behaupten, dass wir in dieser Hinsicht grosse Fortschritte machen.

Die Abfolge der oben erwähnten Krisen, die militärischen Spannungen und die Verschiebung von einer progressiven zur einer von Protest und Differenzen geprägten Demokratie bringen zunehmend autoritäre Regimes hervor.

Gibt es ein Mittel dagegen?
… Oder zumindest Wege, die man verfolgen kann, um vielleicht eine Trendwende herbeizuführen? Und welche Rolle spielen die Medien dabei?

Ich plädiere dafür, dass wir Informationen als Allgemeingut betrachten, dessen Fortbestand die Gesellschaft sichern muss.

Individualismus, lauter werdende Forderungen einzelner Kreise, vermehrt unnachgiebige Minderheiten und eine Form des Egoismus, bei dem jede noch so kleine Gruppe ihre eigenen spezifischen Interessen verteidigt, lassen den Zusammenhalt der Gesellschaft bröckeln.
Die grösste Herausforderung besteht also darin, das gesellschaftliche Band zwischen den Individuen, welche die Gesellschaft bilden, aufrechtzuerhalten.
In einer zerstückelten Gesellschaft besteht die Gefahr, dass das öffentliche Interesse in den Hintergrund rückt und sogar ganz vernachlässigt wird.
Vor allem, wenn die Menschen dazu tendieren, ihre Achtung vor Institutionen von der Erfüllung ihrer persönlichen Erwartungen abhängig zu machen.

Das öffentliche Interesse ist jedoch nicht die Summe aller Partikularinteressen. Im Gegenteil: Es ist das Überwinden von Partikularinteressen dank einer gemeinsamen Vision und der Suche nach dem Gemeinwohl.
Es besteht die Gefahr, dass das, was die einzelnen Individuen in unseren globalisierten und digitalisierten Gesellschaften verbindet, nur noch ein gemeinsamer Protestwille ist.
Ohne Konsens als Grundlage eines gemeinsamen Projekts kann die Gesellschaft jedoch nicht funktionieren. Sie braucht Kompromisse, gemeinsame Visionen, Solidarität und auch eine gute Führung, um Widersprüchlichkeiten zu überwinden und Sinn zu schaffen.
Unsere Demokratie gründet auf dem freien Willen der Bürgerinnen und Bürger, die ihre Rechte innerhalb eines gemeinsamen und akzeptierten Rahmens ausüben.
Dieser kann sich ohne die Kenntnis und Prüfung von Fakten und Ansichten, die die Gesellschaft bewegen und prägen, nicht entwickeln.
In anderen Worten: Ohne Information und ohne einen öffentlichen Raum, in dem sie eingeordnet werden kann, gibt es keine Demokratie. Diese beiden Elemente bilden die Luft, die sie zum Atmen braucht.

Eine auf klassische Art vermittelte schlüssige Argumentation reicht aber nicht mehr aus, um eine Debatte zu prägen.
Es reicht nicht mehr aus, dass Institutionen sich äussern, damit sie gehört werden.
Im Gegenteil: Noch nie war das Misstrauen gegenüber allem, was mit Autoritäten zu tun hat, so gross. Noch nie war die Manipulation der Massen so einfach und wirkungsvoll.
Genau aus diesem Grund wird die Information im unaufhörlichen digitalen Strom von Meldungen im 21. Jahrhundert zu einem unverzichtbaren Gut.
Es wäre übrigens sehr hilfreich, wenn sich die Geisteswissenschaften dieses Themas annehmen und eine mögliche Definition von Information als «Gemeingut» ausarbeiten würden.

Wie wir bei der Analyse der finanziellen Situation der Medien gesehen haben, enthält diese neue demokratische Gleichung, bei der die Information zu einem unverzichtbaren Gut wird, eine Unbekannte: die wirtschaftliche Fähigkeit der Medien, sie bereitzustellen.
Es stellt sich die heftig diskutierte Frage nach der Finanzierung dieser für das Fortbestehen der Demokratie essenziellen Funktion der Medien.
Zwar hat sich das Gemeinwesen, der Staat, grundsätzlich immer darum bemüht, die allgemeinen Rahmenbedingungen für ein reibungsloses Funktionieren der Institutionen zu gewährleisten.
In der oben beschriebenen gegenwärtigen Strukturkrise ist jedoch zu beobachten, dass die Demokratie keine unumstössliche Realität ist und Bürgerinnen und Bürger neue gesellschaftliche Verhaltensweisen finden können, um ihren freien Willen ausdrücken.

Daher ist es unerlässlich, die Medien zu unterstützen und ihre Rechte, aber auch ihre Pflichten zu definieren.
Nur so sind sie in der Lage, Inhalte zu entwickeln, die in den lokalen Märkten verankert sind, aber gleichzeitig der digitalen Revolution und deren Vorreitern auf der ganzen Welt standhalten können. Und diese Inhalte dann für alle zugänglich zu machen.

Alle beschriebenen soziokulturellen Phänomene betreffen die Schweiz im Besonderen.

Die direkte Demokratie, unser Konkordanzsystem, die wechselnde Verteilung von Macht und Gegenmacht, unsere territoriale Fragmentierung und kulturelle Vielfalt erfordern eine starke, gefestigte politische Agora, die mit hochwertigen Informationen alimentiert wird.
Die Willensnation Schweiz muss sich zusammenraufen und einen Konsens finden können.
Wenn sich in der Schweiz die digitale Atomisierung zur natürlichen Fragmentation gesellt, ohne dass dem etwas entgegengestellt wird, besteht die Gefahr, dass durch die übermässige Spaltung eine Lähmung eintritt.
Die Schweiz würde zu einer direkten Demokratie, die sich selbst blockiert.

Deswegen sind aktuell Überlegungen rund um die Situation der Medien zentral.

Die Branche ist leider von zahlreichen Kämpfen geprägt, die ihren Ursprung in den beschriebenen ökonomischen Spannungen haben.
Diese Kämpfe sind aber noch nichts im Vergleich mit den künftigen Herausforderungen.
Es gibt Spannungen zwischen verschiedenen Interessengruppen, zwischen privaten und öffentlichen Akteuren, zwischen Sprachregionen und zwischen einer liberalen Weltanschauung und dem Wunsch nach mehr staatlicher Regulierung. Diese Rivalitäten erschweren die Bewältigung der Herausforderungen.
Qualitativ hochwertige Information, ein unverzichtbares Gut des 21. Jahrhunderts, liegt in der Verantwortung der Gemeinschaft, in welcher Form auch immer.
Wir müssen gemeinsam Lösungen für die Koexistenz von verschiedenen Medien finden. Das liegt selbstverständlich im Interesse der Schweizer Bevölkerung.

Diese Koexistenz muss mit den zwei Daseinsberechtigungen vereinbar sein:
– Auf Seiten des medialen Service public mit der absoluten Notwendigkeit, sich weiterhin an alle Zielgruppen wenden zu können, wo immer sie sich befinden, mit allen Themen, die sie interessieren.
– Und auf Seiten der privaten Medien mit der ebenso legitimen Notwendigkeit, kommerzielle Gewinne zu erwirtschaften, um sie ganz oder teilweise in die mediale Wertschöpfungskette zu reinvestieren.

Diese Koexistenz ist umso schwieriger herzustellen, als das Gebiet eng und vor allem in viele kleine Märkte unterteilt ist, die sich nicht zu einem Einzigen zusammenfassen lassen.

Und genau aus diesem Grund halte ich die Subsidiarität, die den Service public dazu zwingen würde, nur das anzubieten, was die privaten Medien nicht anbieten wollen oder können, in der Schweiz für nicht praktikabel.
Denn sie würde dazu führen, dass je nach Region unterschiedliche Arten des Service public existieren würden:
– Ein reduzierter Service public in der Deutschschweiz, wo es einige kleine kommerzielle Alternativen gibt.
– Und ein umfassender Service public in der Westschweiz, im Tessin und in Graubünden, wo der Markt zu schwach ist, um den medialen Service public zu ersetzen.
Die eigentliche Daseinsberechtigung des medialen Service public ist jedoch die Gleichwertigkeit der Leistungen in allen Regionen und für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
Glauben Sie, dass es ohne finanzielle Solidarität der Deutschschweiz realistisch wäre, den 300’000 Tessinerinnen und Tessinern täglich eine qualitativ hochstehende Tagesschau anzubieten oder mit RTR unsere vierte Landessprache, das Rätoromanische, am Leben zu erhalten?
… Nein.
Deshalb müssen wir auf dem Medienplatz Schweiz andere Wege der Koexistenz finden.
Dies umso mehr, da einige Programmbereiche im kleinen Schweizer Markt keine realen Refinanzierungsmöglichkeiten bieten.
Allen voran im kulturellen Angebot.
Dabei sind wir dringend auf eine nationale Kulturproduktion angewiesen. Denn diese definiert und vereint uns über unsere Verschiedenheiten hinaus.

Aber wir brauchen nicht nur einfach eine Kulturproduktion, diese muss auch verbreitet werden. Der Zugang zu den kulturellen Inhalten darf nicht eingeschränkt oder von Zahlungsmechanismen abhängig gemacht werden, die bestimmte Zielgruppen ausschliessen.
Und um diesen universellen Zugang zu gewährleisten, muss sich die öffentliche Hand einbringen.

Abgesehen von der schwierigen Situation im Zusammenhang mit der Finanzierung durch die öffentliche Hand und durch kommerzielle Einnahmen gibt es zweifellos neue Wege, die es zu erkunden gilt.
Einer mit zahlreichen Möglichkeiten ist sicherlich die Philanthropie.
Besonders interessant ist in meinen Augen, dass dieser dritte Weg sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene wirken kann.
Man muss aber unbedingt besser verstehen, nach welchen Kriterien eine Medienleistung in diesem Zusammenhang als förderungswürdig eingestuft wird.
Und sich natürlich darüber klar werden, was der direkte oder indirekte Zweck einer allfälligen Unterstützung ist.

Abschliessend erlaube ich mir den Wunsch zu äussern, dass dies ein gemeinsamer Zweck ist, der über den Grabenkämpfen in der Medienbranche steht.

Denn in naher Zukunft hängt das Schicksal der Demokratien von ihrer Fähigkeit ab, qualitativ hochwertige Informationen zu produzieren und zu verbreiten, die intensive und sicher kontroverse, aber immer auch fundierte Debatten ermöglichen.

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